Der Gewaltsturm auf Tesselberg

  

Im Titelthema der aktuellen PZ-Ausgabe haben wir ein Ereignis durchleuchtet, das in der Erinnerung vieler noch immer nachwirkt. Es geht um die Erstürmung von Tesselberg am 10. September 1964. Auf der Suche nach den „Puschtra Bui-bm“ überrannte damals eine über 1.200 Mann starke Militäreinheit den kleinen Bergort. Die „terroristi“ fanden sie nicht – doch für die Dorfbevölkerung endete dieser Einsatz beinahe in einer Katastrophe. Nur dank der Zivilcourage des damaligen Oberstleutnants Giancarlo Giudici, der sich einem Schießbefehl widersetzt hatte, kam es nicht zur ganz großen Katastrophe. Dem „Sturm auf Tesselberg“ waren verschiedene Anschläge vorausgegangen. Am 27. August 1964 flog bei Percha ein Jeep der Carabinieri in die Luft. Es gab vier Verletzte. Am 3. September 1964 wurde der Carabinieri-Beamte Vittorio Tiralongo in Mühlwald erschossen. Am 9. September 1964 wurde hingegen ein weiterer Carabinieri-Jeep bei Salomonsbrunn in Antholz durch eine Miene in die Luft gejagt. Die Staatsmachte machte für diese Vorgänge die „Buschtra Buibm“ verantwortlich. 

 

Da vermutet wurde, dass sich die „Puschtra Buibm“ in Tesselberg versteckt hielten, wurde der Bergweiler weiträumig umzingelt und zum Sturmangriff geblasen. Der Kommandant der Carabinierilegion Bozen, Francesco Marasco, erteilte dem damaligen Einsatzleiter, Oberstleutnant Giancarlo Giudici, schließlich den unfassbaren Befehl, 15 Dorfbewohner von Tesselberg zusammenzutreiben, an die Wand zu stellen und zu erschießen. Anschließend sollte das Dorf angezündet werden. Ein unfassbarer Befehl! Man kann sich vorstellen, was das ausgelöst hätte. Giudici aber gelang es, Marasco zu seinem Hubschrauber zu bugsieren und den Tobenden wegbringen zu lassen. Den Schießbefehl setzte er in der Folge nicht um und verhinderte damit ein Blutbad. Dennoch wüteten die Soldaten und Polizisten. Die Dorfbewohner wurden zusammengetrieben. Es wurde geschossen, Handgranaten geworfen, Heuhütten und die Mühle des Kastnerbauern angezündet. Beim Oberplantaler wurde sogar ein taubstummes Mädchen angeschossen und liegen gelassen. Erst viel später wurde es von Adolf Lahner, dem Plontol-Adolf und einigen Männern, ins Krankenhaus von Bruneck gebracht. 

 

Die Konsequenzen für Giancarlo Giudici folgten auf der Hand. Sie waren keinesfalls positiv. Bereits am nächsten Tag wurde er für seinen „Ungehorsam“ und die „Befehlsverweigerung“ nach Udine strafversetzt. Nun hat die Gemeinde Gais der Tochter von Giudici, der 1992 starb, am 29. Oktober 2022 im Rahmen eines kleinen Festaktes eine Ehrenurkunde überreicht. Die Rede geht von Maria Elisabetta Giudici, die auch selbst in Gais anwesend war. Die Initiative dazu kam übrigens vom tragisch verstorbenen Ehrenmajor der Schützen, Josef Kaser und der ehemaligen Landesreferentin sowie Historikerin Martha Stocker. Einen Tag vor der Ehrung wurde eine Informationsveranstaltung zu diesem Thema organisiert. Beide Aktionen sind wichtige Zeichen und Schritte hin zu einer Versöhnung. Denn nur diese kann in einen Akt der Vergebung münden. Dafür braucht es beide Seiten. Nun gilt es diesen Weg konsequent weiterzugehen.

 

 

Reinhard Weger

 

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