Moralische Grenzen im Fußballfieber
Derzeit findet in Katar die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Fußball im Winter auf so hohem Niveau ist per se schon gewohnheitsbedürftig, aber es sind die Umstände, welche zur Fußball-WM geführt haben, die massiv kritisiert werden. Es liegt auf der Hand, dass rund um die Vergabe dieses Weltturniers viele ihre Hand aufgehalten haben. Als das FIFA-Exekutivkomitee im Jahr 2010 die Doppelvergabe der Weltmeisterschaften an Russland und Katar bekannt gemacht hatte, wurden bereits massive Korruptionsvorwürfe laut. Zumal es bereits im Vorfeld große Zweifel an der Durchführbarkeit einer Fußball-WM in Katar gab – auch von Seiten der FIFA. Als dann US-Behören die weltweiten Geldflüsse durchleuchteten, kam heraus, dass viele Geldflüsse bei hochrangigen FIFA-Funktionären endeten. Sie konnten auch konkrete Vorwürfe untermauern, was zur Suspendierung von mehreren Fußball-Funktionären wegen Bestechlichkeit führte. Auch der ehemalige FIFA-Präsident Josef Blatter musste 2015 infolge der Korruptionsvorwürfe zurücktreten. Sein Nachfolger Gianni Infantino steht wegen seiner Nähe und fast schon peinlichen Unterwürfigkeit zu Katar ebenfalls in der Kritik. Wenig überraschend hat er Anfang dieses Jahres sogar seinen Wohnsitz in das Emirat verlegt. Das muss man sich mal vorstellen.
Besonders schlimm war auch die Situation der vielen Gastarbeiter aus aller Welt, die in Katar die Fußballtempel in der Wüste hochgezogen haben. Es gibt zwar unterschiedliche Angaben darüber, wie viele Tote es im Zusammenhang mit den schlechten Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen tatsächlich gegeben hat, aber die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ geht davon aus, dass seit der Vergabe im Jahr 2010 etwa 15.000 Menschen Nicht-Katarischer-Staatsangehörigkeit dort bei Arbeitsunfällen umgekommen sind. Amnesty International kritisierte darüber hinaus die Praxis von konfiszierten Reisepässen, missachteten Ruhepausen und nicht ausbezahlten Löhnen. Geplante und zugesagte Sozialreformen seien von der katarischen Regierung nicht oder nur zum Teil umgesetzt worden und das Arbeitsrecht weise trotz einer Verbesserung noch immer große Lücken auf. Die Forderung, einen Entschädigungsfond für verletzte oder getötete Mitarbeitende einzurichten, wurde von Katar ebenfalls abgeschmettert. Fakt ist auch, dass die Menschenrechtslage in Katar ebenfalls problematisch ist. Meinungs- und Pressefreiheit sind auch stark eingeschränkt. Die Rechte von Frauen und queeren Menschen werden schlicht nicht gewahrt.
Mittlerweile sind die Spiele in vollem Gange und das Eröffnungsspiel wurde – allen Aufrufen zum Boykott zum Trotz – in die ganze Welt übertragen. Die schlimmsten Despoten durften an der Ehrentribüne Platz nehmen. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass Katar sogar Hunderte sogenannte „Fake-Fans“ bezahlt. Sie bekommen für ihren frenetischen Beifall in den Stadien die Flugtickets, die Eintrittskarten, einen kostenlosen Aufenthalt und ein schönes Taschengeld bar auf die Hand. Sie sollen dann lautstark jubeln und die „organisatorischen Leistungen“ des Ausrichters über den Klee loben. Insofern ist es richtig, Flagge zu zeigen und die Missstände kritisch zu hinterfragen. Es ist auch gut, wenn sich Barbetriebe weigern, in großem Stil dieses „Fußballfest“ zu zelebrieren. Richtig ist auch, dass auf den Christkindlmärkten heuer keine Fußballspiele gezeigt werden. Das sind überaus wichtige Signale im Sinne eines moralisch intakten Wertekompasses. Gerne mehr davon!
Reinhard Weger