Kultur auf Briefmarkengröße

  

Heuer feiert das Brunecker Stadttheater seinen 30. Geburtstag. Darin erinnerte Klaus Gasperi, der den fehlenden Einsatz für „sein“ Stadttheater immer wieder kritisierte. Vor exakt 30 Jahren wurde nämlich die erste Eigenproduktion im damaligen „Theater im Pub“ in Bruneck aufgeführt. Das runde Jubiläum nahm Kollegin Judith Steinmair zum Anlass, mit Gasperi selbst, aber auch mit seiner Familie und seinen engsten Weggefährten zu sprechen und eine nette Titelgeschichte zu schreiben. Natürlich mit dem ein oder anderen Gasper’schen Seitenhieb! Das gehört einfach dazu und hat das Stadttheater Bruneck mit den vielen Eigenproduktionen, CO-Produktionen und Tourneen, mit Klassikern, sozialkritischen Stücken, modernem Volkstheater und Kinderstücken, mit Musik, Kabarett, Literatur und Talkabenden, mit Profis und Amateuren richtig groß gemacht. Das Stadttheater ist zu einer der wichtigsten Kulturstätten im Pustertal und weit darüber hinaus geworden und sollte es auch bleiben. Denn die Kämpfe, die Gasperi für dieses Theater ausgefochten hat, waren mitunter hart und gingen oft an die Substanz. Wenn das Brunecker Stadttheater endlich im erweiterten Kolpinghaus eine würdige Bleibe bekommt, wird wieder ein wichtiges Etappenziel erreicht. Es bleibt zu hoffen, dass bis dahin nicht zu viel Zeit vergeht.

 

Einen großen Aufreger lieferte auch die römische Regierung. Wurde doch tatsächlich eine Briefmarke herausgegeben, die den faschistischen Politiker und Philosophen Giovanni Gentile ehrt. Dieser kam vor 80 Jahren durch ein Attentat zu Tode. Aus diesem Anlass brachte die italienische Post im Auftrag des römischen Wirtschaftsministeriums die klebende Drucksorte heraus. Adolfo Urso von den italienischen Brüdern und derzeitiger Minister für wirtschaftliche Entwicklung, argumentierte doch tatsächlich, dass diese „Briefmarke ein pflichtbewusster Beitrag zu einer führenden Figur im italienischen Kulturpanorama der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ sei. Damit nicht genug: Bei der Präsentation im April (!) dieses Jahres erinnerte der Regierungsmann auch daran, dass die Gentile-Reform des Schulsystems ein System sei, das trotz der späteren Änderungen aufgrund seiner Aktualität immer noch in Kraft ist, weil es die „Rolle der Ausbildung und Erziehung der Bürger stärkte und den Modernisierungsprozess Italiens beschleunigte“. Da stellt sich mir allerdings die Frage, warum es nicht schon damals zu einem politischen Aufschrei kam?  

 

Tatsache ist, dass das Gentile-Gesetz im Dezember 1922 erlassen wurde. Es war damit eines der ersten Gesetze, die nach der Machtergreifung von Benito Mussolini ratifiziert wurden. Dieser bezeichnete besagtes Gesetz sogar als das „faschistischste aller Gesetze“. Umgesetzt wurde es im Laufe des Jahres 1923 mit fünf Dekreten, von denen Südtirol vor allem das Dekret zur Einführung des Italienischen als allein zulässige Sprache in den Schulen (Oktober 1923) und schließlich in den Kindergärten (Dezember 1923) – massiv und mit viel Leid behaftet - betroffen hat. Der Historiker Hannes Obermair bezeichnete diesen ungeheuren Vorgang in der Südtiroler Tageszeitung dann auch als „staatlich legitimierten Revisionismus“. Absolut richtig! So etwas kann man nicht durchgehen lassen! Denn „Kultur auf Briefmarkengröße“ kann niemals unser Anspruch sein.


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schönen Sommer. Wir machen jetzt eine Woche Pause und sind mit der nächsten PZ am 29. August 2024 in aller Frische, Stärke und starkem Elan wieder zurück! Bis dahin!

 

 

 

Reinhard Weger
     

 

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