Sehr viele Interessierte - um genau zu sein insgesamt 5.600 - zog es innerhalb von nur zwei Wochen ins Bozner Landestheater zum Stück „Die Bombenjahre“ von den Vereinigten Bühnen Bozen. Während man von der Inszenierung des Stücks selbst ja halten kann was man will, wurde einmal mehr deutlich, dass vor allem in der Schule einiges an Aufklärungsarbeit im Bereich „Südtiroler Geschichte“ vor uns steht.
Für die Besucher war es während der dreiteiligen Vorstellung möglich, verschiedenen Zeitzeugen zuzuhören, die das Geschehen in meist authentischer und ehrlicher Art schilderten. Persönlichkeiten, wie Mauro Mininiti, der die italienische Opferseite erläuterte, Wendelin Weingartner, zur Haltung der Tiroler Politik, Hans Mayr über Sepp Kerschbaumer, oder Zeitzeugin Rosa Gutmann Roner, um nur einige zu nennen, waren vertreten.
„Puschtra- Bui“ Siegfried Steger, der bekanntlich italienisches Staatsterrain nicht betreten darf, war per Live-Übertragung zugeschalten. Der Aktivist schilderte in gewohnt passionierter Art, seine eigenen Beweggründe für das Vorgehen und sein Leben im Exil, bei welchen Aktionen er selbst beteiligt war, kann weiterhin nur vermutet werden, immerhin tat er vor ein paar Jahren schon mal kund: „Es tut mir leid für jeden Tropfen Blut, der auf beiden Seiten geflossen ist.“ Auf die Frage, was er der heutigen Jugend mitgeben wolle, unterstrich er vor allem den Wert der Heimat, die er selbstverständlich noch immer tief im Herzen trage.
Zielführende Gewalt?
Dass der Freiheitskampf für viele Südtiroler immer noch etwas Heroisches an sich hat, verwunderte hingegen den in Innsbruck tätigen Historiker und Universitätsprofessor, Rolf Steininger. Er beschäftigt sich intensiv mit der Südtiroler Geschichte und legte 1999 das dreibändige Werk „Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947-1969“ vor, in dem er umfangreiche Protokolle und Aufzeichnungen zur Thematik liefert.
Der Anfangszwist besteht laut Steininger schon einmal darin, dass der BAS niemals die Autonomie im Sinn hatte, sondern einzig die Selbstbestimmung. „Dennoch wollen die Attentäter heute als Wegbereiter der Autonomie gelten“, so Steininger. Vor der famosen Feuernacht von 1961 war die Südtirol-Thematik bereits vor der UNO, das heißt: Gespräche liefen, was man laut dem emeritierten Professor nach den Anschlägen nicht mehr sagen kann. „Die Italiener sprachen nachher gar nicht mehr mit Österreich. Die Selbstbestimmung hatte man sich weggebombt. So war später „nur“ mehr eine Autonomie möglich“, ist der Professor überzeugt.
Eine Wende von Italiens Südtirol-Politik sei erst 1963 unter der Mitte-Links-Regierung unter Moro und Saragat erfolgt, somit siegte am Ende die Diplomatie und nicht die sinnlose Gewalt. Rolf Steininger unterscheidet zudem zwischen zwei Großgruppierungen unter den Attentätern, nämlich die frühen unter Kerschbaumer, die lediglich materielle Schäden anrichten wollten und die späteren, die auch bereit waren, Blut zu vergießen. „Hier ist eine Verallgemeinerung sicherlich mehr als unangebracht“, ist Steininger überzeugt.
Geschichte verstehen
Die unmenschlichen Folterungen, von denen die Bevölkerung erst spät erfuhr und auch zur Solidarisierung mit den Attentätern beitrugen, sind heute eng mit dem Bild der Bombenjahre verbunden, die Attentäter als Helden und Bringer der Autonomie zu feiern. „Das ist aus der heutigen Perspektive aber ein zu einseitiges Bild. Unsere Historiker, Lehrpersonen aber auch jede/r selbst ist nun gefordert, sich sinnvoll und genau mit dieser und anderen Geschichtsthematiken zu beschäftigen, schließlich gilt es ja aus der Vergangenheit zu lernen, um die Gegenwart zu verbessern und da steht bekanntlich einiges an“, so Steininger.
Wenn Theateraufführungen, die zu einer solchen Beschäftigung und einem Dialog beitragen, ist das sicherlich zu begrüßen, auch wenn die „Freiheitskämpfer“ im Fall von „Bombenjahre“ klar in der Überzahl waren. Die ein oder andere zusätzliche kritische Stimme wäre im Sinn der Multiperspektivität sicherlich gewinnbringend gewesen. Auch eine noch klarere Abgrenzung von Gewalt hätten sich einige Besucher gewünscht.
Dominik Faller