Freiheitskampf oder Terrorismus: Vor exakt 55 Jahren erschüttert in der Feuernacht eine Anschlagsserie die idyllische Bergwelt der nördlichsten Provinz Italiens. Manche Attentäter haben bis heute ihre Heimat verloren. Auch im Pustertal sind die Wunden noch nicht verheilt.  

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Gesprengter Hochspannungsmast: vor 55 Jahren wurde mit der „Feuernacht“ der aktive Widerstand in Südtirol eingeläutet.  

Es ist die Nacht von Herz-Jesu-Sonntag auf Montag: 12. Juni 1961, kurz nach ein Uhr. Die Hitze des Tages steht noch drückend schwül über Bozen. Dr. Friedl Volgger, SVP-Politiker und Chefredakteur der Tageszeitung Dolomiten, sitzt trotz der späten Stunde an seinem Schreibtisch in der Museumsstraße. Ein Grollen unterbricht seine Konzentration. Sollte sich die Hitze in einem Gewitter entladen? Dann ein zweites Krachen. Die Lichter gehen aus. 

Volgger steigt auf das Dach des Redaktionsgebäudes. „Ich sah auf dem Jenesier Berg einen Blitz aufleuchten, hörte einen weiteren Knall und das Krachen eines Masten einer elektrischen Überlandleitung“, wird er später berichten, „in ganz kurzen Abständen blitzte und donnerte es auf allen Hängen rund um den Bozner Talkessel.“ Der Himmel leuchtet in allen Farben, immer wieder sind Stichflammen zu sehen von umfallenden Hochspannungsleitungen. Im Stadtviertel Oberau herrscht minutenlang helllichter Tag, dann wieder ist es gespenstisch finster.

 

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Die Pfunderer Buibm in Ketten bei der Überstellung ins Gefängnis im August 1956. Ihnen wurde der Tod eines Finanzers zur Last gelegt. Sie haben das stets bestritten. Dennoch wurden acht von 14 jungen Männern aus dem Ort zu hohen Haftstrafen verurteilt. 

 

Angriff auf Italiens Wirtschaft

Was Volgger vom Dach aus beobachtet, geht als die „Feuernacht“ in die Geschichte ein: Die Nacht, in der sich eine Gruppe von Südtirolern so heftig wie nie gegen die als Besatzer empfundenen Italiener wehrt. Die Federführung hat der Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), ein Kreis von Männern, die die Trennung ihrer Heimat von Italien durchsetzen wollen – wenn nötig, mit Gewalt. Italiens Wirtschaft soll durch die Attentate geschwächt, und das Interesse der Weltöffentlichkeit auf die kleine Provinz zwischen Brenner und Salurnerklause gelenkt werden. Im Raum Bozen krachen 19 Masten zusammen, im ganzen Land sind es 37. Die Stromzufuhr für die Bozner Industrie-

zone und zur norditalienischen Industrie ist unterbrochen. Große Elektrizitätswerke sind lahmgelegt. 

 

Perfekter Zeitpunkt

Der Zeitpunkt der Anschläge ist nicht zufällig gewählt. Am ersten Sonntag nach dem Fronleichnamsfest brennen in Südtirol damals traditionell die Bergfeuer. Seit 1796 wird dann des Widerstands gedacht. Durch die Truppen Napoleons bedroht, kamen Tiroler Landstände damals in Bozen zusammen und schworen feierlich, das Land dem „Heiligsten Herzen Jesu” anzuvertrauen. 1809 erneuerte Andreas Hofer das Gelöbnis vor der Berg-Isel-Schlacht gegen die Franzosen und Bayern. Als seine Truppen überraschend siegten, erklärte Hofer den Herz-Jesu-Sonntag zum Feiertag. Die Herz-Jesu-Feuer sind für die Mitglieder des BAS eine willkommene Deckung für ihre Anschläge. Weil viele Feierlustige in dieser Nacht im ganzen Land unterwegs sind, können sie die Sprengsätze anbringen, ohne Aufsehen zu erregen. 

 

Täter auch im Pustertal

Josef Forer aus Mühlen in Taufers ist einer von ihnen. Seine Wut über die Missstände im Land war nicht immer da, sie ist langsam gewachsen. 1959 hat ihm ein Carabiniere den kleinen Anhänger mit dem Tiroler Adler von der Brust gerissen und im Staub des Dorfplatzes zertreten. Jetzt, nach getaner Arbeit, kommt Forer um vier Uhr morgens heim. Er wäscht sich das Sprengstoffpulver von den Händen und legt sich kurz ins Bett. Aber irgendwie spürt er, dass er nicht mehr bleiben kann. Er steht auf, schultert einen Rucksack und geht hinunter in die Küche, wo seine Mutter Maria gerade das Frühstück vorbereitet. Als die Carabinieri wenig später mit mehreren Fahrzeugen vor dem Hof auftauchen und nach ihm rufen, sehen sie nur noch, wie der 21-Jährige über ein Feld in Richtung Wald verschwindet.

Es sind politisch explosive Zeiten, es liegt etwas in der Luft – aber auf eine Anschlagsserie dieses Ausmaßes ist in Südtirol niemand vorbereitet. Seit Jahren macht der BAS mit Flugblättern auf die Situation der deutschen Bevölkerung aufmerksam: „Hat man in Rom noch nicht gemerkt, dass wir im Zeitalter der Selbstbestimmung der Völker leben? Wir sind sicher, dass alle Gegner des Kolonialismus unsere Bundesgenossen sind.“ 

 

Explosive Zeiten

Man warnt vor Benachteiligung und Repressalien durch den italienischen Staat, der italienischstämmige Zuwanderer klar bevorzugt. Während 1921 noch 20 000 Italiener im Land lebten, sind es 1953 bereits 115 000. Dieser Zustrom ist von staatlicher Seite gelenkt. 4100 Volkswohnungen werden zwischen Kriegsende und 1956 in der Provinz gebaut, nur 246 dieser Sozialwohnungen gehen an Südtiroler, das sind gerade einmal sechs Prozent. 

Den Südtirolern bleibt der Zugang zu staatlichen Stellen bei Post, Bahn und Polizei fast gänzlich verwehrt. Alleine 1958 gehen 7000 Südtiroler auf Stellensuche ins Ausland, die wenigsten kehren zurück. Dabei ist die Gleichbehandlung der Volksgruppen im Pariser Abkommen geregelt. Es ist am 5. September 1946 vom österreichischen Außenminister Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi in Paris unterzeichnet worden und sicherte den Südtirolern unter anderem das Recht auf Gebrauch der Muttersprache bei Polizei, Gericht und öffentlichen Ämtern zu. Die Realität sieht anders aus.  

Mit der Zeit wird die Enttäuschung über diese Benachteiligungen zum Zorn: ein perfekter Nährboden für die Entstehung des Befreiungsausschuss Südtirol mit bald mehr als 150 Mitgliedern. Architekt der Organisation: Sepp Kerschbaumer. Der Kaufmann aus Frangart war im Februar 1957 zu zehn Tagen Haft verurteilt worden, weil er eine Tiroler Fahne gehisst hatte. 

 

Südtirol im Ausnahmezustand

Die Mitglieder des BAS sind sich einig, Gewalt gegen Objekte ja, gegen Menschen nein. Das gelingt in der Feuernacht auf tragische Weise nicht. „Es war ausg’macht: jede Gruppe muaß schaug’n, dass sie a bestimmte Anzahl Masten hinlegt. Der Sepp Kerschbaumer hat g’sagt, suacht sie ja net neben der Straßen aus. Es derf koa Blut fließen“, sagte BAS-Mitglied Sepp Innerhofer aus Schenna später. Um neun Uhr morgens findet Straßenwärter Giovanni Postal bei Salurn eine nicht explodierte Ladung. Sie geht hoch. Der 67-Jährige ist auf der Stelle tot.  

Die Südtiroler Volkspartei verurteilt die Anschläge aufs Schärfste. Dolomiten-Herausgeber Toni Ebner, eine gewichtige, publizistische Stimme in Südtirol, spricht in einem Kommentar vom „geschändeten Herz-Jesu-Fest“. Die Stimmung bei der Südtiroler Bevölkerung ist nach außen zurückhaltend, nach innen solidarisch. Als Reaktion auf die Geschehnisse schickt Innenminister Mario Scelba Carabinieri, Polizei und Militär aus Oberitalien, um in Südtirol Brücken, Kasernen und andere strategische Punkte zu bewachen. Auch die internationale Presse bis hin zur New York Times wird auf den Brennpunkt im Norden Italiens aufmerksam. Die dpa vermeldet, die wachsende Unsicherheit in Südtirol beginne, die Touristen zu erschrecken. Militärflugzeuge und Hubschrauber kreisen über der Provinz: Südtirol im Ausnahmezustand.

 

Folter und Kerker

Chefredakteur Friedl Volgger bezeichnete die Feuernacht als technische „Meisterleistung“, organisatorisch sei der Aufbau des BAS jedoch völlig unzureichend gewesen. Die Krux: Jeder kannte jeden mit vollem Namen und Adresse. Anfang Juli 1961 werden die ersten Mitglieder verhaftet. Die Verdächtigen werden gefoltert und verraten manche andere BAS-Leute. Schläge mit Stöcken, Gewichte an den Hoden, ausgedrückte Zigaretten auf der Haut: In Eppan, Neumarkt 

und Brixen sind die Schreie aus den Kasernen oft nächtelang zu hören. Anton Gostner und Franz Höfler überleben die Torturen nicht. Anfang September sind 90 Südtiroler in Haft. Ein paar haben sich vor den Verhaftungen über die Grenze abgesetzt. 

 

Die Pusterer Buibm

Wie Josef Forer und sein Nachbar Siegfried Steger. Die beiden gehören zur Gruppe der Pusterer Buibm, die in der Feuernacht im Osten des Landes zum ersten Mal tätig wird. Die meisten Sprengungen führt der BAS zwar im Raum Bozen und im Burggrafenamt um Meran aus, doch auch im Pustertal fallen Masten. 

 

Die Pusterer erhalten das Losungswort zum Tag X nicht von Kerschbaumer, zu dem sie kaum Kontakt haben, sondern über einen Verbindungsmann. Die Nachricht erreicht sie so spät, dass in der Feuernacht nur ein paar Mann als Sprengkommando aktiv werden. Die Pusterer verstecken sich zunächst in Österreich. 

Dort leben sie bis heute. In Ladis, einem 500-Seelen-Ort am Fuß der Samnaungruppe im Oberinntal, hat sich der jetzt 76-jährige Forer mit seiner Frau eine neue Existenz aufgebaut. Der Bauernbub aus Mühlen in Taufers, der als ältester Sohn den Hof hätte übernehmen sollen, ist Hotelier geworden. „Ich würde dich daheim schon brauchen“, sagte sein Vater einmal zu ihm. „Das geht mir bis heute nach“, sagt Josef Forer. Als die Pusterer von den Folterungen in der Heimat hören, ist das für sie kaum zu ertragen. 

Während der BAS durch die Verhaftungswelle zerschlagen ist, arbeiten Forer, Steger und ihre Mitstreiter Heinrich Oberleiter und Heinrich Oberlechner im Untergrund. In den Sommermonaten verstecken sie sich im Pustertal in selbst geschaffenen Unterständen. Bauern versorgen sie mit Informationen und Nahrung. Immer wieder verüben die Pusterer Buibm Anschläge auf Masten. Mit einer Ladung von zwölf Kilogramm sprengen sie den Kamin der italienischen Kaserne von Sand in Taufers. Es kommt niemand schwer zu Schaden.  

 

Kerschbaumers Tod

Im Dezember 1963, die meisten Attentäter sind schon seit mehr als zwei Jahren in Haft, kommt es vor dem Mailänder Schwurgericht zum ersten Sprengstoffprozess. Ein Mammutverfahren mit 91 Angeklagten und 470 geladenen Zeugen. Am 16. Juli verkündet der Präsident des Schwurgerichtshofes nach 35 Stunden Beratung, das Urteil. 22 beim Prozess anwesende Angeklagte werden zu langen Haftstrafen verurteilt, die höchste Strafe von ihnen erhält mit 15 Jahren und elf Monaten der Kopf der Gruppe, der 49-jährige Sepp Kerschbaumer. Die Höchststrafen gehen an die Flüchtigen wie Luis Amplatz (25 Jahre) und Georg Klotz (18 Jahre). 

Die zweite Instanz sollte Kerschbaumer nicht mehr erleben. Am 7. Dezember 1964 stirbt der Vater von sechs Kindern im Gefängnis von Verona an einem Herzanfall. 20.000 Südtiroler nehmen an seiner Beerdigung in St. Pauls teil. Sie gerät zu einem stummen Protestmarsch. 

 

Begnadigung?

Die Pusterer Buibm werden 1971 in Bologna in Abwesenheit unter anderem wegen „Anschlags auf die Einheit des Staates“ zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Der Haftbefehl besteht in Italien gegen die mittlerweile älteren Herren immer noch. Selbst der wegen zweifachen Mordes verurteilte RAF-Mann Bernd Rössner wurde 1994 nach 18 Jahren Haft vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begnadigt. 

Politiker diesseits und jenseits der Brennergrenze setzen sich seit Jahren vergeblich für eine Begnadigung der drei Pusterer Buibm (Heinrich Oberlechner starb 2006 nach längerer Krankheit in Innsbruck und wurde in Südtirol beerdigt) ein. Würden die drei Männer selbst ein Gnadengesuch beim Staatspräsidenten einreichen, wäre das für die Gegenseite vielleicht ein Anstoß. Aber das lehnen sie entschieden ab. „Wir müssen für nichts um Entschuldigung bitten. Wir haben für die Wiedervereinigung unserer Heimat und die Selbstbestimmung gekämpft“, sagt Forer.

Josef Forer kennt seine Heimat, in der vor über 50 Jahren alles begann, nur noch aus der Erinnerung.

Verena Duregger

 

Südtirol - Der Nationalitätenkonflikt zwischen gestern und heute

Für die einen ist es ein rechtmäßiger Vorgang, für die anderen ist es Landraub: 1919 wird Südtirol im Friedensvertrag von Saint-Germain dem zu den Siegermächten gehörenden Königreich Italien zugesprochen und von Österreich abgetrennt. Mit Mussolinis Machtergreifung 1922 beginnen erste Repressalien der Faschisten gegen die deutsche Bevölkerung: Deutschunterricht und Vereine werden verboten und der Faschist Ettore Tolomei mit der Übersetzung der Orts-und Flurnamen betraut. Höhepunkt der Italianisierung: selbst Vor- und Zunamen werden übersetzt. Nach einem 1939 zwischen Hitler und Mussolini geschlossenen Abkommen muss sich die Bevölkerung entscheiden, ob sie ins Deutsche Reich übersiedelt („optiert“) oder in Südtirol bleibt und damit der Italianisierung zustimmt. Bis 1943 wandern 75 000 Menschen aus, nach dem Krieg kehren viele, die optiert haben, zurück. 

Erst 1972 tritt das Zweite Autonomiestatut in Kraft, das der Region Trentino-Südtirol weitreichende Rechte sichert. Die deutsche und ladinische Bevölkerung gehört seither in Italien zu den in der Verfassung geschützten Minderheiten. Der italienische Faschismus hat in Südtirol bis heute viele Spuren hinterlassen: Da ist der reitende Mussolini auf dem Finanzamt in Bozen oder das Siegesdenkmal auf dem gleichnamigen Platz in der Landeshauptstadt. Die Schatten der Vergangenheit, sie mögen vielleicht kürzer werden, aber sie sind noch nicht verschwunden.

 

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