Der KVW, der katholische Verband der Werkstätigen, ist der größte Sozialverband Südtirols. Seit seiner Gründung im Jahre 1948 macht er sich für die sozialen Anliegen stark. Das Ehrenamt, in fast allen Gemeinden Südtirols, und die Hauptamtlichen in den Bezirken Bozen, Brixen, Meran, Vinschgau, Wipptal und Pustertal ergänzen und unterstützen sich in ihren Tätigkeiten zum Wohle der Gesellschaft. Doch die Gesellschaft und damit auch die Aufgaben des KVW verändern sich. Es fehlen Konsens und Zusammenhalt. Ein Damoklesschwert?
KVW-Bezirkschef Karl H. Brunner
PZ: Herr Brunner, wofür steht eigentlich der KVW in der heutigen Zeit?
Brunner: Im Wesentlichen steht er für die grundsätzlichen Prinzipien, nach der unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Der Einzelne spielt eine wesentliche Rolle. In dem Sinn, dass auch der Schwächste seinen Platz haben soll und geschützt werden muss, aber nicht nur der Schwächste, sondern auch einfach das Individuum an sich. Es geht auch ganz stark um den Begriff der Verantwortung. Wie kümmern wir uns um einander, um die Umwelt, um die Gemeinschaft? Das sind alles wichtige Themen. Der KVW setzt sich für diese klassischen Themen, auch Gerechtigkeit gehört dazu, ein.
Die Gesellschaft verändert sich. Was ist aus Ihrer Sich das Wichtigste?
Aus meiner Sicht momentan das Wichtigste ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Es ist wichtig, dass man nicht immer jammert, was alles schief läuft, sondern dass man das viele Positive, das schon passiert, unterstützt und darauf schaut, dass die großen Bereiche der Gesellschaft nicht auseinanderdriften. Ich sehe zum Beispiel eine Aufgabe darin, die vielen Menschen, die sich für Wirtschaft bemühen, nicht in die Ecke stellen zu lassen, dass sie nur „abcashen“ würden. Meiner Meinung nach gibt es einen Bruch zwischen den Wirtschaftstreibenden und der allgemeinen Gesellschaft. Ist stelle auch fest, dass die Menschen die Sinnhaftigkeit und die Notwendigkeiten vieler Entscheidungen oft nicht verstehen. Es besteht nicht mehr ein gemeinsamer Konsens. In den letzten Jahren haben wir uns als KVW daher den verschiedenen Wirtschaftsverbänden genähert und gemeinsame Themen behandelt. Neben diesen großen politischen Ausrichtungen gibt es noch die Ortsgruppen, welche natürlich ganz viel in Sachen Gemeinschaft, Krankenbesuche, Seniorennachmittage, Ausflüge und so weiter organisieren.
Warum haben Sie sich entschieden, Bezirksvorsitzender zu werden?
Ich hatte das Gefühl, dass der Verband mir die Möglichkeit gibt, mich für Grundwerte einzusetzen, die ich persönlich auch teile. Es geht darum, wie Individualität und Freiheit auf der einen Seite mit Gemeinschaft auf der anderen Seite in Verbindung gebracht werden. Mir gefällt der Weg des Christentums, der sagt, das Individuum ist wichtig, so wichtig, dass Gott sich mit diesem Individuum letztendlich identifiziert und es aber in einer Gemeinschaft einbettet. Es geht um die Würde und die Verantwortung, welcher jeder einzelne hat. Jeder Mensch ist letztlich etwas Besonderes. Das sind Themen, die mich beschäftigen und daher fühle ich mich beim KVW auch gut beheimatet. Dass ich dann gleich Bezirksvorsitzender geworden bin, war nicht beabsichtigt. Nachdem der ehemalige Bezirksvorsitzende Werner Steiner zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, entstand aber eine Lücke, welche gefüllt werden musste. Und wie es so oft ist: Derjenige, der nicht am schnellsten wegläuft, den trifft es halt dann.
Welchen konkreten Auftrag hat der KVW als größter Sozialverband?
Beim KVW muss man unterscheiden. Auf Ortsebene muss er sich für die Interessen der Mitglieder einsetzen und gemeinschaftsstiftende Momente setzen. Das wird hervorragend umgesetzt. Auf Landes- und Bezirksebene muss der Verband hingegen soziale Themen noch prägnanter besetzen. Wir müssen die Stimme erheben für soziale Themen. Nicht immer nur reaktiv, also reagieren auf etwas das ansteht, sondern vielleicht auf öfters visionär. Wir versuchen dies zum Teil mit den Jahresthemen umzusetzen. Momentan ein großes Thema sind die jährlichen Kürzungen bei den Patronaten. Das würde dazu führen, dass Menschen über Sozialfürsorgemaßnahmen nicht mehr anständig aufgeklärt werden können und keine Hilfe mehr bei der Beantragung erhalten. Ein weiteres großes Problem ist die Situation der Frauen, vor allem was die Pensionsabsicherung betrifft. Während man zugeben muss, dass das soziale Netz in Südtirol für die Absicherung der unteren Einkommen recht gut gespannt ist, bereitet mir die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts größere Sorgen. Die Mittelschicht, die ja die große Trägerin der vielen Sozialleistungen ist, muss auch noch einen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen, damit sie die Solidarität auch weiterhin aufbringt. Wenn die Mittelschicht weiter abdriftet und nicht mehr bereit ist, die Steuern für Sozialfürsorge abzugeben, weil sie selber überall durch den Rost fällt, dann stehen wir bald vor einem wirklich großen Problem.
Wir stehen kurz vor dem Weihnachtsfest. Im Pustertal ist auch die Armut am Wachsen. Es gibt eine ganze Reihe an Menschen, für die das Weihnachtsfest alles andere als ein Fest ist. Was muss getan werden, um die Situation zu entschärfen?
Weihnachten ist so ein hoch romantisiertes Fest. Man denkt an kuschelige Wohnungen, an Kerzenlicht usw. Aber religiös gesagt war Weihnachten eigentlich ein Moment bitterer Armut, ein Moment, wo man Herberge sucht, weil man keine Unterkunft findet. Das sind die Bilder, um die es eigentlich geht. Diese Dramatik, diese Armut, haben wir ein bisschen „eingelullt“. Diese „Einlullung“, gerade auch durch die Medien, bringt eine riesige Gefahr mit sich. Gerade die einsamen Menschen, die Verwitweten, die Menschen mit gescheiterten Beziehungen, die keinen Partner haben, diese Menschen tun sich in dieser Zeit sehr schwer. Und was momentan sicher sonst noch ein Thema ist, neben der Not vor Ort, sind auch die vielen flüchtenden Menschen, die in der bitteren Kälte in ganz Europa unterwegs sind. Solche Situationen sind dramatisch. Davon kann man gar nicht unberührt sein. Diese Flucht kann man im Grunde genommen gar nicht anders, als mit der Geburt Jesu in Verbindung zu bringen. Und wenn das stimmt, dass Gott Mensch geworden ist, dann bleibt es ein beständiger Auftrag, dass man sich für das menschliche Leben wirklich einsetzt.
Unsere KVW-Ortsgruppen setzen sich in vielen Orten für die Flüchtlinge ein. Sie organisieren eine Menge, zeigen christliche Gesten, wie das Besuchen von Alleinstehenden, in den Altenheimen usw. Hier kann nie genug getan werden. Ich möchte an dieser Stelle allen innerhalb und auch außerhalb des KVW danken, die diese Zeichen der Menschlichkeit und der Gemeinschaft unterm Jahr und auch jetzt ganz besonders zu Weihnachten leben. Zugleich wünsche ich allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, sowie viel Gesundheit für das nächste Jahr.
Interview: Patrizia Hainz