Die aktuelle Sonderausstellung „Höfe ohne Männer. Frauenalltag im Ersten Weltkrieg“ im Südtiroler Volkskundemuseum geht der Frage nach, wie Frauen im ländlichen Tirol die Zeit des Ersten Weltkrieges erlebten und arbeitet damit ein bisher wenig erforschtes Gebiet der Weltkriegshistoriographie auf. Die Ausstellung kann noch bis zum 31. Oktober besichtigt werden.
Die schwere Arbeit auf den Feldern und Äckern (im Bild der Kornacker im Volkskundemuseum von Dietenheim) musste in den Kriegsjahren von den Frauen bzw. später dann auch von den Kriegsgefangenen erledigt werden.
In jüngster Zeit wird das Thema „Erster Weltkrieg“ im Zuge verschiedener Veranstaltungen immer wieder aufgegriffen. Schließlich jährten sich der Kriegsausbruch im vergangenen Jahr und der Kriegseintritt Italiens in diesem Jahr zum hundertsten Mal. Das Südtiroler Volkskundemuseum in Dietenheim nähert sich in einer spannenden Sonderausstellung den schrecklichen Kriegswirren von einer etwas anderen Seite: jener der zurückgebliebenen Frauen. Die Ausstellung führt die Besucher in verschiedenen Stationen von der Vorkriegszeit bis hin zum Kriegsende und zeichnet anhand von Fotografien, Briefen, Zeitungsberichten, Erinnerungsstücken und Interviews ein Bild der damaligen Lebenswelt.
In den Jahren zwischen 1914 und 1918 waren viele Frauen auf Tirols Bauernhöfen auf sich gestellt und mussten den Alltag nur mit Hilfe von Kindern, Halbwüchsigen und älteren Menschen bewältigen, während die Männer im Krieg waren. Auf ihren Schultern lastete die Verantwortung für das Überleben der Familie und des bäuerlichen Betriebes.
Scharen weinender Frauen
In der Vorkriegszeit prägten die Land- und Forstwirtschaft weite Teile der Wirtschaft in Tirol. Drei Viertel der Betriebe waren Kleinbetriebe, das bedeutet, dass die Arbeit ohne zusätzliche Hilfe von außen bewältigt wurde. Zwar war das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgewogen, aber die Arbeitsaufteilung erfolgte geschlechterspezifisch: Den Frauen oblag vor allem die Haus- und Hofarbeit, besonders kraftintensive Arbeiten waren Männersache, wirtschaftliche Entscheidungen sowieso. Der Befehl zur allgemeinen Mobilisierung am 31. Juli 1914 riss die Menschen auf dem Land jäh aus diesem klar strukturierten und arbeitsreichen Alltag. Binnen kurzer Zeit mussten die wehrfähigen Männer zwischen dem 19. und 42. Lebensjahr einrücken. Zurück blieben die Frauen mit der zusätzlichen Arbeit, mit den Sorgen über den Erhalt von Hof und Familie und der Angst um die Angehörigen im Feld. Die Zeitungen schrieben über die „Heldinnen im Hinterland“, die Wirklichkeit sah mit „Scharen weinender Frauen“ allerdings anders aus.
Rohstoffe werden knapp
Aber nicht nur der Arbeitskräftemangel war groß, auch Lebensmittel und Rohstoffe waren knapp. Die Städte waren diesbezüglich den ländlichen Gebieten gegenüber noch zusätzlich benachteiligt. Um den Verbrauch einzuschränken und die Verteilung gerechter zu gestalten, wurde ein Bezugskartensystem eingeführt, zunächst nur für Brot und Getreide, später für weitere Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände. Dieses berechtigte zum Erwerb einer bestimmten Menge dieser zu einem festgesetzten Preis. Zudem war eine beträchtliche Anzahl an Zugtieren vom Militär requiriert worden und es fehlte an Saatgut und Düngemitteln, sodass die Erträge teilweise rapide sanken. Das Militär beschlagnahmte Schlachtvieh und Heu ohne Rücksicht auf die lokalen Erfordernisse.
Jeder musste in dieser Zeit seinen Beitrag zum Krieg leisten. Auch die Kinder machten da keine Ausnahme. Sie wurden nicht nur zu Hause zum Arbeiten eingesetzt, sondern auch in der Schule beim Sammeln der sogenannten „Liebesgaben“. Auch die Sammelaktion „Gold geb‘ ich für Eisen“ diente der Kriegsfinanzierung. Die Folge davon war, dass Eheringe gegen Metallringe getauscht wurden. Selbst vor dem Requirieren von Kirchenglocken wurde zwecks Geldbeschaffung nicht Halt gemacht.
Fehlende Arbeitskräfte
Fehlende Arbeitskräfte kompensierten die Staaten indes mit Kriegsgefangenen. Ab 1916 wurden sie verstärkt auch auf den Tiroler Höfen eingesetzt und erwiesen sich als unentbehrlich. Zuweilen entstanden daraus amouröse Abenteuer und durchaus auch mancher Nachwuchs - ein Thema, das damals wie heute noch tabu ist. Die Frauen unterlagen einer starken sozialen Kontrolle. Ihre Lebensweise wurde genau beobachtet und in Presse und Öffentlichkeit teils scharf kommentiert. Viele Frauen wurden an den Pranger gestellt und auch verurteilt. Das zeigt etwa der folgende Auszug aus dem Tiroler Volksboten: „Hofern, Pustertal... auch hier haben wir eine dumme Gans,...welche immer mit den Russen zu karessieren hat.“
Schwierige Zeit für alle
Dass diese Zeit für die Frauen sehr schwierig war, steht außer Zweifel, viele sind in jener Zeit freiwillig aus dem Leben geschieden. Der Kontakt zu ihren Lieben an der Front war spärlich, die Post arbeitete langsam. Postkarten von der Front konnten durchaus schon einmal ein knappes Jahr unterwegs sein. Allgemein gibt es von Seiten der bäuerlichen Bevölkerung nur wenig vollständig erhaltene schriftliche Kommunikation, dafür fehlte oftmals einfach die Zeit. Und wenn, dann wurden häufig alltägliche wirtschaftliche Fragen abgehandelt.
Ein wichtiges Thema ist die Rolle der katholischen Kirche, die in Tirol einen großen Einfluss ausübte. Der Seelsorger im Dorf war moralische Instanz, konkreter Hilfesteller - beispielsweise im Umgang mit den Behörden - und Propagandist in einer Person. Sicher ist, dass die Religiosität und der Glaube den Betroffenen bei der Bewältigung des Krieges halfen.
Die Ausstellung schließt ab mit dem Kriegsende im Jahre 1918: Das Land war ausgesaugt und die Ressourcen waren endgültig erschöpft. Doch was war mit den Frauen? Trauerten sie der „aufgezwungenen“ Selbstständigkeit nach der Rückkehr ihrer Männer nach? Nach wie vor gibt es zu diesem Teil der Zeitgeschichte Fragen, die immer noch offen sind.
jst