Der Sommer treibt seine schönsten Blüten. Zeit für ein gutes Buch also. Das Team der Stadtbibliothek Bruneck hat sich die Zeit genommen, die besten Sommerlektüren für unsere vielen PZ-Leser zu rezensieren. Viel Spaß beim Schmökern!
Für Überlebenskünstler:
Frederik Backman: Ein Mann namens Ove. Krüger 2014, 362 S.
Ove ist ein typischer brummeliger Nachbar: alt, unausstehlich, unzufrieden, immer am Meckern… Er wacht akribisch darüber, dass im gesamten Wohnviertel niemand Auto fährt und dass der Müll richtig sortiert wird, dafür stellt er auch gerne handgeschriebene Verbotsschilder auf oder lässt sich zu Schimpftiraden hinreißen. Doch selbst dazu kann er sich in letzter Zeit kaum noch aufraffen. Vor wenigen Monaten ist seine geliebte Frau gestorben, die er immer noch regelmäßig auf dem Friedhof besucht und mit der er Zwiegespräche hält. Und jetzt wurde er auch noch in die Frühpension entlassen! Was soll er nun anfangen? Ove räumt seine Wohnung auf, zieht seinen besten Anzug an, ordnet seine Unterlagen und macht sich daran, sich selbst umzubringen. Doch es ist wie verhext: bei jedem seiner Selbstmordversuche wird er gestört! Entweder von seiner neuen exotischen Nachbarin, die ständig bei ihm auf der Türschwelle steht, deren großer Familie oder von einer ebenso brummeligen alten Katze, die er vor dem verwöhnten Nachbarshund retten muss. Widerwillig erledigt er immer wieder neue Aufgaben und lässt sich immer wieder auf neue Menschen ein, obwohl er doch nur eines will: in Ruhe gelassen zu werden, damit er endlich aus dieser Welt scheiden kann…
Der alte, griesgrämige Ove wird einem mit jedem Wort des Buches sympathischer. „Ein Mann namens Ove“ ist die geschickt aufgefädelte Lebensgeschichte eines grundehrlichen, fleißigen Mannes mit einem riesengroßen Herzen, das voller Liebe für seine Frau war, die leider viel zu früh von ihm gegangen ist. Witzig erzählt, einfühlsam und mit ganz, ganz viel Herz. Gleichzeitig mit wunderbaren Beschreibungen, wie die alte Katze, die Ove ungewollt aufs Auge gedrückt wurde, gerade aussieht und sich gerade fühlt!
Empfohlen von Evi Weissteiner
Für Jäger und Sammler:
Doris Knecht: Wald. Rowohlt 2015, 270 S.
Marian, eigentlich Marianne, Anfang 40, hat aufgrund der Wirtschaftskrise und aufgrund von widrigen Umständen aller Art alles verloren. Mann, Wohnung, Firma, Klamotten, Schminke, Handy, ihr ganzes bisheriges Leben. Im Haus ihrer Tochter Kim, das ihnen eine alleinstehende Tante vererbt hat, versucht sie wieder zu sich zu kommen. Oder sich neu zu definieren. Oder sie ist einfach nur feige und haut ab. Ist schwer zu sagen. Ihr neues Leben besteht aus Jagen und Fischen, aus Gärtnern und Einkochen, aus Sorge um das nackte Überleben. Die Österreicherin Doris Knecht, deren Debutroman „Gruber geht“ noch immer ihr bester ist, zeigt in „Wald“ ein modernes Frauenleben zwischen Konsum- und Karrierewahn auf der einen und archaischem Landleben auf der anderen Seite. Sie erzählt vom Ausnützen und vom Ausgenutzt-werden und vom Sich-ausnützen-lassen. Ganz ohne Wertungen, das ist einfach so. Marian wird im Dorf immer mehr angefeindet, hat eine Affäre mit einem Großbauern und irgendwie ist es im Wald fast wieder so wie in der großen Stadt. Eine nicht ganz einfache aber lohnende Lektüre und ein Buch mit einem wunderschönen Cover.
Empfohlen von Michaela Grüner
Für Wortklauber:
Wolfgang Nöckler: Ich leih mir kurz mal dein gesicht. Pyjamaguerilleros 2014, 136 S.
Im Innsbrucker Alternativverlag pyjamaguerilleros* ist Wolfgang Nöcklers erster Lyrikband „ich leih mir kurz mal dein gesicht”erschienen. Nöckler, der eigenen Angaben zufolge nicht nur Autor, sondern auch Liedermacher, Mundwerker, Slammer und Poet ist, sammelt in dem coolen Büchlein lange und kurze, gereimte und ungereimte Texte aus beinahe zwei Jahrzehnten. Wie Schlagersänger es in ihren „Best of“-CDs machen. „Jetzt flattern die Zettel nicht mehr (ausschließlich) durch meine Räume, sondern können gebündelt erlebt werden.“ Nicht ganz einfach zu lesen (ist Lyrik eigentlich auch mal einfach?) lohnt es sich trotzdem oder gerade deshalb, das kleine Abenteuer Gedicht. Wie eine Reise um die Welt im Kopf. Amfoch lesn sogat do Wolfgang:o).
Empfohlen von Sonja Hartner
Für Alteisenhändler:
Antonia Baum: Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren. Hoffmann & Campe, 398 S.
Ja, du darfst klauen, solange dich keiner erwischt. Putzen wird überbewertet. Anarchie ist gut, Kirche ist schlecht. Von der Schule fliegen ist nicht so tragisch. Du kannst dich ja selbst großziehen. Hab ich genauso gemacht und du siehst ja, was aus mir geworden ist… So und so ähnlich erklärt Theodor seinen Kindern die Welt, seine Welt.
Theodor ist kein Gangster, er ist alleinerziehender Vater. Er arbeitet als Arzt, hat aber Gefallen an dubiosen Geschäften. Jonny, die Zwillinge Romy und Clint werden vom ihm zwar geliebt, aber nicht versorgt. Sie leiden unter seinen recht unkonventionellen Erziehungsmethoden, seinem zwanghaften Geiz und seiner permanenten Abwesenheit. Als Außenseiter in der Schule, Ladendiebe im Focus des Jugendamtes und sozial gehandicapt, entwickeln die drei sehr kreative Überlebensstrategien und ziehen bereits im Grundschulalter einen eigenen Drogenhandel hoch.
Zum 25. Geburtstag der Zwillinge bleibt Theodor spurlos verschwunden. Ratlos sitzen die Geschwister zu Hause, betrinken sich und versuchen, ihre Angst mit zwanghaften Ritualen in Schach zu halten. Sturzbetrunken und unter Drogen machen sie sich schließlich im Auto auf die Suche nach Theodor.
Familienharmonie und ein Happyend sucht man in diesem Buch vergeblich. Die einzig Konstante im Leben der Kinder ist das Verschwinden der Menschen, die ihnen wichtig sind… wie der Schutzgelderpresser Sultan oder die abgewrackte Kneipenbedienung Rita mit ihrer Dogge Shiva.
Romy erzählt als einzig halbwegs vernünftiger Mensch im Buch die Geschichte, umringt von unfähigen Männern: Alkoholiker, Drogendealer und Möchtegern-Gangstern. Ohne dass sie es selber merkt oder Anerkennung dafür bekommt, ist sie bereits im Grundschulalter eine starke Frau.
Eine erbarmungslos gute Geschichte, die den Leser zu Tränen rührt und gleichzeitig ein herzhaftes Lachen herauskitzelt.
Empfohlen von Sonja Brunner