11.490 Senioren beziehen eine Rente von weniger als 500 Euro monatlich. Dabei liegt der vom ASTAT errechnete Haushaltsbedarf einer alleinstehenden Person pro Monat bei 490 Euro. Der Rentenunterschied zwischen Männern und Frauen ist gravierend. Die in Südtirol bestehenden 76 Alters- und Pflegeheime und 13 Tagespflegeheime sind bereits zu 98,2 Prozent ausgelastet. Betreuungsplätze sind Mangelware. In den Alters- und Pflegeheimen gibt es in letzter Zeit einen deutlichen Zuwachs an Betreuung von schwer pflegebedürftigen Personen. Und trotzdem ist es die Einsamkeit, welche für Senioren das größte Problem und die größte Gefahr darstellt, sind sich die Präsidentin des Senioren-Gemeinderates Bruneck, Cristina Gianotti und Hermann Demichiel sicher.
Hermann Demichiel und Cristina Gianotti ph
Im Internet kursiert zurzeit ein Video, welches - passend zur bald wiederkehrenden Weihnachtszeit - die Einsamkeit alter Menschen in den Fokus der Öffentlichkeit rücken soll. Ein junges Mädchen bekommt ein Teleskop geschenkt und schaut damit in die Sterne. Es sieht auch den Mond, zoomt näher ran und erkennt ein Haus auf dem Mond. Beim genaueren Betrachten fällt ihr auf, dass im Haus ein alter Mann wohnt. Er sitzt alleine auf einer Bank vor der Haustür und blickt zur Erde. Rings um ihn ist gähnende Leere, nichts, nur sein Haus und er. Er wirkt sehr traurig und einsam. Das Mädchen winkt ihm zu, versucht ihm deutlich zu machen, dass es ihn gesehen hat - vergebens. Der alte Mann ist zu weit weg. Es vergeht kein Tag, an dem das Mädchen nicht zum alten Mann hochschaut. Immer und immer wieder versucht die Kleine zu ihm Kontakt aufzunehmen, doch er ist einfach zu weit weg. Als es Weihnachten wird, hat sie eine Idee. Sie füllt einen Luftballon mit Gas und bindet eine Schnur mit einem Fernrohr daran. Dann lässt sie das Fernrohr in die Luft steigen. Es steigt und steigt und tatsächlich erreicht es irgendwann den Mond. Der alte Mann sieht den Luftballon auf sich zukommen, erhebt sich von seiner Bank und betrachtet das Fernrohr. Er nimmt es in die Hand und blickt hindurch. Die Erde wird immer größer und ein helles Lichtermeer scheint ihm entgegen. Er zoomt noch näher ran. Sein Blick fällt auf ein Haus, in welchem eine Familie Weihnachten feiert. Ein Christbaum mit Kerzen, viele Geschenke und lachende Menschen rundherum. Neben dem Zimmer ist noch ein anderes Zimmer. Durch die Scheibe erkennt er das junge Mädchen, welches gespannt durch ihr Teleskop starrt. Endlich kann er sie sehen. Sie winkt und lächelt begeistert. Der alte Mann kann es kaum glauben. Gerührt winkt er zurück und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.
Einsamkeit ist großes Problem
Die Geschichte geht ans Herz. Wahrscheinlich auch deswegen, weil dieser Mann jeder sein könnte. Unser Vater, unsere Mutter, unser Opa, unsere Oma, ein Onkel, eine Tante, ja sogar wir selbst könnten früher oder später dieser Mann sein. Einsamkeit ist die größte Angst, welche alte Menschen bei uns haben. „Senioren werden oft als Belastung wahrgenommen, die sehr viel krank sind und Geld kosten, welches anders besser eingesetzt werden könnte“, meint Hermann Demichiel. Er selbst erlebt es oft, dass er alten Menschen begegnet, welche einfach jemanden bräuchten, dem sie ihre Lebensgeschichte erzählen können. Jemanden, der ihnen zuhört, jemanden, für den sie wichtig sind. Auch Cristina Gianotti erlebt es in ihren Sprechstunden oft, dass Menschen kommen, eine halbe Stunde lang erzählen, den Raum glücklich wieder verlassen, ohne dass sie selbst weiß, was sie jetzt eigentlich gewollt haben.
Trotz der vielen Vereine und Organisationen, welche oft verschiedenste Veranstaltungen für Senioren und Alleinstehende organisieren, gibt es zu viele Menschen, welche sich verlassen fühlen, so Gianotti. Während unter der Woche oft noch genug Programm ist, so seien vor allem die Wochenenden sehr schlimm für viele, ergänzt Demichiel. Der Senioren-Gemeinderat Bruneck versucht mit verschiedenen Veranstaltungen, Aktionen und Initiativen beizutragen, dass Alleinstehende, ältere Menschen Anschluss an die Gesellschaft finden. Der Tag der Senioren im Sommer, mit über 700 Besuchern, die Seniorenzeitschrift, die Seniorenmesse, die Seniorenmensa und die Zeitbank Bruneck sind nur einige davon. Nicht nur die Tatsache, dass sich viele einsam fühlen, sondern auch die Darstellung als gesellschaftliche Belastung zehrt an den Senioren. „Die Medien stellen uns Senioren oft so dar, als ob wir dem Rest der Gesellschaft auf der Tasche liegen würden. Dabei wird oft vergessen, dass die Senioren jene Generation darstellen, welche damals so vieles wieder aufgebaut hat und welche so hart daran gearbeitet hat, dass es uns jetzt so gut geht“, ist sich Gianotti sicher.
Finanzielle Lage ist teilweise dramatisch
Neben der Einsamkeit ist auch die finanzielle Lage oft ein großes Problem der Senioren. Vor allem Frauen, welche Kinder betreut haben, daheim gearbeitet haben und keinem Beruf nachgegangen sind, müssen jetzt mit einer Mindestrente über die Runden kommen, die oft nur knapp ausreicht. 50.140 Männer bekommen 1.105 Mio. Euro und 52.400 Frauen bekommen 595 Mio. Euro. Gerade gegen dieses Problem sind auch dem Senioren-Gemeinderat die Hände gebunden. "Dagegen können wir wenig bis gar nichts tun", so die Vorsitzende.
Sorge um die Gesundheit
Ein drittes Problem und auch eine große Angst, die in vielen Köpfen der Senioren herrscht, ist die Sorge um die Gesundheit. Die Menschen werden älter und daher auch gefährdeter für Krankheiten. „Niemand möchte zu einem Pflegefall und damit zur Belastung der Familie werden“, so Demichiel. Auch wenn immer mehr Senioren selbstständig sind und länger autonom sein können, so gibt es doch immer die Angst, gesundheitliche Probleme zu bekommen.
Am 11. und 12. November fand in der Cusanus Akademie in Brixen die internationale Ärzte-Tagung „Alterspsychiatrie - die große Herausforderung der Zukunft“ statt. „Während unsere Senioren heute lange sehr aktiv sind und voll im Leben stehen, nehmen die Depressionen im Alter zu. Senioren sind einsam, verlieren ihre soziale Position und versuchen mögliche Krankheiten geheim zu halten. Senioren bekommen zu wenig Respekt und Anerkennung von der Gesellschaft. Dies alles können Faktoren sein, welche zur Altersdepression führen“, so Primar Dr. Roger Pycha vom Krankenhaus Bruneck.
Politik muss handeln
Ziel des Senioren-Gemeinderates ist es, allen Senioren und auch den Angehörigen Informationen zu liefern. Informationen zu allem, was für ältere Menschen interessant und vor allem wichtig sein könnten. Das Gremium ist bemüht, die Politik dahingehend sensibel zu machen, dass es mehr alternative Wohnformen geben muss. Es muss Strukturen geben, in welchen Senioren gemeinsam, und zum Teil auch autonom, wohnen und leben können. Es muss Formen geben, wie das „betreute Wohnen“, bei welchem die alten Menschen noch so selbstständig wie möglich sein können, aber stets die Möglichkeit haben sollen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Botschaft von Frau Gianotti und Herrn Demichiel ist: Die Wertschätzung der älteren Menschen muss verbessert werden. Senioren sollen nicht wie kleine Kinder behandelt werden. Allerdings müssen die Senioren selbst auch etwas dazutun. Sie müssen selbstbewusster auftreten und sich für die eigenen Belange mehr einsetzen.
Wovor sie selbst Angst haben, wenn sie ans Altern denken, da sind sich beide einig: „Wir wünschen uns so lang wir leben, ein halbwegs gesundes und autonomes Leben führen zu können und nicht abhängig von künstlichen lebenserhaltenden Maßnahmen zu sein.“
Anstelle von Ungeduld und Unverständlichkeit, muss die Gesellschaft ein Umdenken den Senioren gegenüber in Bewegung bringen. Es braucht Dankbarkeit für ihr Geleistetes, Verständnis für ihre Situation, ein offenes Ohr für ihre Probleme und vor allem ein offenes Herz für ihre Liebe!
Patrizia Hainz