Die Weihnachtsgeschichte beginnt im imperialen Rom und sie beginnt mit einer Zählung. Kaiser Augustus hat den Bewohnern seines Reiches befohlen, sich in der jeweiligen Geburtsstadt registrieren zu lassen. Der Anlass für die Maßnahme dürfte in der Steuerpolitik des Kaisers zu suchen sein. Genaueres erfahren wir vom Evangelisten nicht.
Lukas bricht die Zählgeschichte ab und bringt die Gegengeschichte dazu: die Weihnachtsgeschichte. Sie handelt von ganz einfachen Leuten, von Maria und Josef, einem Kind in der Futterkrippe und von Hirten. Es ist die Geschichte von Leuten, die zwar aufgeschrieben werden, aber im tatsächlichen Leben nichts zählen. Das Interessante an der Weihnachtsgeschichte ist, dass genau diese Geschichte und nicht die des Kaisers im fernen Rom Weltgeschichte gemacht hat. Die Botschaft ist klar. Lukas erzählt eine Geschichte, in der es um die „Umwertung aller Werte“ geht, um es mit einem Schlagwort von Friedrich Nietzsche zu sagen.
Die Zählung, die Kaiser Augustus einst anordnete, ist – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen – in unserer Zeit allgegenwärtig. Heutzutage wird gezählt und gerechnet auf Teufel komm raus. Persönliche Daten werden erfasst. Von Regierungen, im Interesse der öffentlichen Sicherheit, sagen sie, von Konzernen, im Interesse der Steigerung von Gewinn und Rendite. Wachstumsraten und Bruttosozialprodukt werden gezählt. Errechnet und gezählt werden auch die Kosten für Dienste der Menschlichkeit an Kranken, an Alten, an Gebrechlichen. Selbst Menschen auf der Flucht werden gezählt. Der Ruf nach Beschränkung, nach Obergrenzen wird laut und lauter. Die Geschichten dahinter interessieren genauso wenig wie vor zweitausend Jahren. Nicht gezählt werden – und das ist bezeichnend für unsere Art zu denken – menschliche Begegnung, Zuwendung, Mitgefühl.
Jawohl, zählen ist eine Großmacht geworden! Auf die Gefahren dieser Macht hat vor einem halben Jahrhundert der Philosoph Martin Heidegger hingewiesen. „Der technische Fortschritt“, sagt er, „hat es mit sich gebracht, dass das rein rechnende Denken gegenüber dem besinnlichen Denken die Oberhand bekommen hat.“ Und er fügt warnend hinzu: „Welche große Gefahr zöge für die Menschheit herauf, wenn eines Tages nur mehr das rechnende Denken als das Einzige in Geltung und Übung bliebe. Dann ginge mit dem höchsten und erfolgreichsten Scharfsinn des rechnenden Planens und Erfindens – die Gleichgültigkeit gegen das Nachdenken, die totale Gedankenlosigkeit zusammen. Darum gilt es, das Wesen des Menschen zu retten. Darum gilt es das Nachdenken wach zu halten“.
Josef Stricker
Priester