14. Mai 2016: Um 11 Uhr begann der Tag der „Freiheit und Unabhängigkeit“ in Bruneck. Die Kundgebung war für die Stadt an der Rienz eine Neuheit. Nicht so für den ausrichtenden Schützenbund: Für ihn war es nach Meran, am 18. Mai 2013, bereits die zweite Auflage. Und es soll nicht die letzte gewesen sein. In Bruneck mit von der Partie waren Delegationen aus dem Baskenland, aus Katalonien, Schottland, Flandern sowie aus dem Friaul und der Lombardei.
Die Botschaft, verkündet vom Landeskommandanten der Schützen und den Vertretern aus dem Ausland. Vor dem Banner ein Pressefotograf mit der offiziellen Akkreditierung am Hintern.
Die organisatorischen Fähigkeiten des Schützenbundes blieben Beobachtern ebenso wenig wie den in- und ausländischen Teilnehmern verborgen. Es ging alles reibungslos vonstatten: keine Pannen, keine nennenswerte Zwischenfälle! Die Ortspolizei sorgte für Ordnung und regelte den Verkehr. Das halbe Dutzend Carabinieri, das sich zeigte, verfolgte das Geschehen entspannt. Die Beamten trugen ihre Sorglosigkeit zur Schau. Diese wurde den Menschen einerseits durch die geringe Mannschaftsstärke, andererseits ob des Auftritts in der Ausgangsuniform demonstrativ vermittelt. Wie viele Beamte sich zusätzlich in Zivil durch die Reihen schleusten, weiß man natürlich nicht. Dass welche im Schutze der „Freiheit“ ihren Job als Informationsdienstler gewissenhaft verrichteten, steht außer Zweifel.
Tadellose Organisation
Ob der Gastfreundschaft und der perfekten Organisation wurde der Veranstalter dann auch von den Repräsentanten der in- und ausländischen Delegationen durch die Bank gelobt; ganz dezidiert tat dies der Vertreter der „Flämischen Volksbewegung (VVB)“, Bart De Valck. Er war schon in Meran vor drei Jahren dabei. Und so wie schon damals, schäumte sein Wortschwall auch in Bruneck vor lauter Bewunderung für die Organisation, für das Land und die Leute sowie für deren innig ausgelebtes Identitätsbewusstsein. Südtirol sei Flandern Impulsgebers und ob seiner Einstellung und Haltung ein nachahmenswertes Beispiel. „Flandern trägt Tirol im Herzen“, so Valcks Liebesbekenntnis abschließend.
Im Übrigen blies De Falck (Flämische Volksbewegung) ins selbe Horn wie seine Kollegen/innen aus dem Baskenland (Manu Gomez), aus Schottland (Shona McAlpine) oder Katalonien (Anna Arquè). Alle strebten die Unabhängigkeit vom jeweiligen Staat an, mit dem sie im Grunde wenig bis nichts verbinde. Für die Schotten als überzeugte Europäer wäre dieser Schritt speziell dann unvermeidlich, so die Engländer sich für den EU-Austritt beim demnächst anstehenden Referendum aussprechen sollten.
Kollektiver Ruf nach Freiheit
Das waren jedoch nicht die einzigen Länder bzw. Regionen, die in Bruneck in den kollektiven Ruf „Los von Rom“ und nach „Freiheit und Unabhängigkeit“ einfielen. Da schwenkten die Manifestanten aus dem Veneto, Friaul und der Lombardei genauso ihre Banner wie jene aus Bayern. Darunter litt die Glaubwürdigkeit des ganzen Freiheits- und Unabhängigkeits-Gehabes dann doch irgendwie. Die Bayern, die nach Unabhängigkeit strebten und mit Südtirol marschierten? Utopisch! Jene Bayern übrigens, die sich vor mehr als 200 Jahren bei der Ladritscher-Brücke (Franzensfeste) den Tirolern geschlagen geben mussten und dabei ihre Sturmflagge an den Feind verloren! Die Flagge wurde ihnen 2013 in der Franzensfeste beim Festakt im Rahmen der zweitägigen Großveranstaltung „Bayern trifft Tirol“ versöhnlich rückerstattet.
Politische Trägheit
Wussten die Tiroler damals noch zu kämpfen, so tun sie es heute nicht mehr. Zumindest die Politiker nicht. So man die Worte des Landeskommandanten der Schützen ernst nimmt, hätten speziell unsere Vertreter in Rom die Lust und den Mut dazu verloren. „Anstatt Zukunftsvisionen zu entwickeln und an deren Verwirklichung zu arbeiten, sind sie seit 70 Jahren damit beschäftigt, längst Zugesichertes zu verteidigen und zum wiederholten Male auszuhandeln!“, donnerte der Kommandant erzürnt in die Menge. Thaler wurde für diese Aussage mit einem lauten „Bravo“ belohnt - und die Fahnen flogen in die Luft. Darauf legte er noch ein Scheit nach: „Südtirol braucht mehr Mut. Es braucht mehr Durchschlagskraft; es soll nicht wegen jeder Kleinigkeit in Rom rückfragen müssen.“ Wir müssten immer wieder die Erfahrung machen, dass wesentliche, unmittelbar unsere Land und unsere Leute betreffende Entscheidungen nicht hier, sondern in Rom getroffen werden.
Thaler kritisierte zudem den Wirrwarr der italienischen Gesetzgebung. Der zum Teil damit zu begründende Bürokratismus und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit hätten diverse Betriebe veranlasst, ins freie Tirol abzuwandern. Er meinte damit Osttirol. Und Thaler zitierte die Betriebe: Senfter, Schmidhammer, Loacker, Durst.
Mehr Mut
Im Zuge seiner Festrede forderte Thaler ein engeres Zusammenrücken Tirols, dessen gemeinschaftliche Interessen über jene der Nationalstaaten zu stellen seien. „Ein Europa, das von Nationalstaaten regiert wird, ist nicht unserer Europa“, so der erst jüngst wiedergewählte Schützenkommandant. Ein Parlamentarier habe den Schützen erst neulich nahegelegt, es reiche nicht mehr, mit wehenden Hutfedern durchs Land zu ziehen. Und Thaler dazu: „Recht hat er. Wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen. Wir sind das Volk. Nur wenn wir unsere Stimme erheben, kann sich etwas ändern. Wir müssen für unsere Unabhängigkeit etwas tun, dann funktioniert das auch. Wege entstehen dadurch, dass man sie begeht. Wir brauchen Mut! Unser Land braucht Mut! Wir müssen etwas wagen!“.
Warnungen, wonach Südtirol aus der EU fliegen würde, insofern es seine Unabhängigkeit erreichte, ließ Thaler überhaupt nicht gelten. Der Brenner würde uns vor dem Ausschluss jedenfalls schützen, denn Nord-Süd-Achse sei für Europa zu wichtig, als dass man auf deren Befahrung deswegen verzichten möchte. Im Übrigen verurteilte Thaler die Gewalttaten anlässlich der jüngsten Protestaktionen am Brenner. „Wir brauchen keine linken Chaoten dort, die unschuldige Polizisten mit Steinen bewerfen und alles kurz und klein schlagen. Solche Leute sollten schnellstens dorthin zurückgehen, von woher sie gekommen sind.“
Die Frage nach der Beteiligung
Die Veranstaltung lief unter dem Motto „Aufbruch – Heimat in Bewegung“ ab. Sie brachte in der Tat viele Menschen in Bewegung, doch 10.000, wie einige Medien, teils unter Berufung auf die Schützen, berichteten, waren es weder damals in Meran noch diesmal in Bruneck. 10.000 Soldaten bilden eine Division. Reiht man diese zu je zehn Mann und im Marschabstand von 70 cm ein, dann benötigt der so geschaffene Zug eine Strecke von 700 Metern. Der Umzug in Bruneck war bestenfalls 300 Meter lang. Die Teilnehmer schritten die Strecke vom Rathausplatz zum Tschurtschenthaler-Park, weitere durch die untere Stadtgasse bis zum Florianitor und von dort über den Graben zum Ausgangsort zurück in loser Aufstellung ab. Den Schluss daraus mag nun jeder für sich selbst ziehen. Nach unserer Einschätzung zählte der Zug maximal 2.000 Personen. Ob das Manko abends beim Konzert der SEER ausgeglichen werden konnte, entzieht sich unserer Kenntnis. Eher wohl nicht, so viel Raum bietet der Rathausplatz bei Weitem nicht.
Warum denn diese bodenlosen Übertreibungen? Eine Frage, deren Beantwortung dem Veranstalter bzw. den betroffenen Medien zur Beantwortung überlassen bleibt.
jessasmaria
Ein Volksfest
Die Kundgebung hatte teilweise Volksfestcharakter. Neben den Musikgruppen „Volxrock“, „Jungböhmische der MK Pichl/Gsies“, „Seer“ traten Volkstänzer, Schuhplattler und Goaßlschnöller auf. Diverse politische Parteien hatten einen Informationsstand aufgebaut, ebenso die Delegationen aus dem Ausland und einige Regionen Italiens. Für Speis und Trank war gesorgt, auch wenn die Wartezeiten an den viel zu wenigen Bierzapf-Stellen mitunter ähnliche Ausmaße annahmen, wie an so mancher Erste-Hilfe-Station. Für die Kleinsten hatte man eine Hüpfburg aufgebaut.
Die politische Prominenz war in Bruneck wenig stark vertreten als noch vor drei Jahren in Meran. Präsenz zeigten jedenfalls die Provinz- und Regionalräte Christian Tschurtschenthaler (SVP), Pius Leitner (Freiheitliche), Andreas Pöder (Bürger-Union) und Sven Knoll (Südtiroler Freiheit).
Wie schon in Meran, so traten die Schützen auch in Bruneck nicht in ihrer Tracht auf. Das mag ein Fingerzeig dafür sein, dass man auch innerhalb des Bundes unterschiedlicher Meinung hinsichtlich derartiger Kundgebungen ist. Südtirolweit zählt der Schützenbund über 5.000 aktive Mitglieder. Er ist somit zweifellos ein bemerkenswerter und beachtenswerter Verbund.
wp