Am Freitag, dem zweiten Oktober referierte Dr. med. Regina Breul, Ärztin, Dozentin und Publizistin, im „Haus am Anger“ in Reischach über Hirntod und Organspende, ein sehr nahegehendes und gleichermaßen umstrittenes Thema. Ihr Anliegen ist es, aufzuklären und Fakten darzulegen, die in der Diskussion über Organspende oft verschwiegen werden. Während wir nämlich mit immer mehr Werbung für Organspenden konfrontiert werden, so zum Beispiel auch letztens mit der Kampagne der Landesregierung „Spende Leben – Dona vita", werde über die negativen Aspekte in diesem Zusammenhang nur selten bis gar nicht gesprochen. Vielen sei nicht klar, was genau es heißt, Organspender zu sein und was ein Organspender mitmacht. Deshalb brauche es noch viel Aufklärungsarbeit, so die Expertin.
Zahlreiche Zuhörer waren im „Haus am Anger“ in Reischach anwesend. ph
Es ist die ureigenste Aufgabe eines Arztes, Patienten umfassend zu informieren und aufzuklären. Diesem Anspruch wurde Referentin Dr. Regina Breul mit ihrem Vortrag gerecht: Sie erklärte, wie es zum Begriff „Hirntod“ kam, was damit genau gemeint ist, wie er diagnostiziert wird, welche Maßnahmen für eine Organspende ergriffen werden und warum sie eine überzeugte Gegnerin der Organspende ist.
Geschichtlicher Hintergrund
Die Einführung der künstlichen Beatmung war ein gewaltiger Fortschritt in der Medizin und rettete vielen Patienten das Leben. Gleichzeitig gab es aber auch Fälle von schwer Hirngeschädigten, deren Atmung und Herztätigkeit künstlich stimuliert wurden, ohne dass die Hoffnung bestand, dass der Patient jemals wieder imstande sein würde, diese Aktivitäten ohne Hilfe auszuführen. In diesen Fällen sprach man von einem „coma dépassé“, einem irreversiblen Koma. Man ging davon aus, dass das Gehirn der Patienten zwar zerstört war, die Patienten galten damals aber doch noch als „lebende“ Patienten.
Eine Kommission der „Harvard Medical School“ veröffentlichte im Jahre 1968 eine genaue Definition des Begriffs „coma dépassé“ und schlug vor, den entsprechenden Zustand als Hirntod zu bezeichnen und als neues Todeskriterium festzulegen. Notwendig wurde diese Definition einerseits, um den Status der komatösen Patienten zu klären und um die künstliche Beatmung einstellen zu können. Andererseits sollten auch Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation vermieden werden. Diese neue Todesdefinition wurde in den folgenden Jahren von vielen Ländern übernommen.
Erste Herzverpflanzung
Im Dezember 1967 nahm Dr. Christiaan Barnard die erste Herzverpflanzung vor. Der Herzempfänger lebte nach der Transplantation noch 18 Tage lang. Im Januar 1968 wurde das zweite Herz verpflanzt, dieser Patient hat 19 Monate lang überlebt. Für die Operationen gab es weltweit große Anerkennung, aber auch damals wurde schon viel Kritik laut. Die „Ein-Jahres-Überlebensrate“ von Herztransplantationspatienten lag bei nur sieben Prozent. Die Abstoßungsreaktionen waren in den meisten Fällen zu groß und konnten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausreichend behandelt werden.
Der große Durchbruch gelang im Jahr 1982 mit der Einführung von Immunsuppressiva. Damit konnten die Abstoßungsreaktionen unterdrückt werden. „Mit diesen Medikamenten, welche bis heute wegen ihrer Nebenwirkungen nicht ungefährlich sind, lebten Patienten länger“, so Breul.
Der Hirntod
Ein Hirntod kann verschiedene Ursachen haben. Einige davon sind Vergiftungen, Hirninfarkte, Blutungen im Hirn, Schlaganfälle, Hirntumore, Ertrinken oder ein Wasserkopf. Der Hirntod wird als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm definiert. Das Zwischenhirn, Schaltzentrale unseres Organismus, ist in der Definition allerdings nicht berücksichtigt. In diesem Zwischenhirn sitzen jedoch wichtige Zentren, zum Beispiel jene für die Anregung der Hormonbildung, für die Kreislauffunktion und für die Verdauungsfunktion.
Diese Zentren funktionieren bei einem Hirntoten noch, das heißt, das Zwischenhirn ist noch in Funktion. „Bei einem Hirntoten kann zum Beispiel der Blutdruck schwanken und es ist eine Körpertemperatur da. Außerdem kommt es zu Ausscheidungen, zur Blutbildung, Blutgerinnung, zu Stoffwechselvorgängen, Hautrötungen, Schwitzen, Bewegungen“, erläuterte Breul. Hirntote Frauen können noch eine Schwangerschaft austragen und hirntote Männer noch Erektionen bekommen. „Beim Hirntod ist kein einziges sicheres Todeszeichen wie Totenstarre, Leichenflecke und Fäulnis zu beobachten, sondern es sind lediglich zwei unsichere Todeszeichen, nämlich die Bewusstlosigkeit und der Atemstillstand, gegeben“, führte Breul weiter aus.
Wie wird der Hirntod festgestellt?
In Italien müssen drei Fachärzte anhand verschiedener Tests den Hirntod eines Patienten feststellen. Dies passiert - im Gegensatz zu anderen Ländern - unabhängig davon, ob ein Patient ein möglicher Organspender ist oder nicht. Dabei werden beispielswiese starke Schmerzreize ausgelöst, um Reaktionen zu testen. Beim letzten und zwingend vorgeschriebenen Test wird der Patient von der Beatmungsmaschine abgenommen.
Keine Untersuchungsmethode ist allerdings im Stande, die Gehirnfunktionen bis in die tiefste Schicht zu erfassen. Deswegen gibt es auch namhafte Chirurgen und Neurologen, welche den Hirntod nicht als Indiz für den eingetretenen Tod anerkennen und sich gegen Organspenden aussprechen. Es geht sogar so weit, dass man in Amerika seit 2010 vom „justified killing“ spricht: Damit ist in der Fachsprache ein „gerechtfertigtes Töten bei Hirntoten, um Organe spenden“ zu können, gemeint.
Die Organspende
Bei Patienten, die als mögliche Organspender in Frage kommen, werden schon vor der Feststellung des Hirntodes Maßnahmen ergriffen, damit die Organe für eine mögliche Transplantation gut erhalten bleiben. So werden Patienten beispielsweise zwei Tage vor der Hirntoddiagnostik lebensnotwendige Medikamente wie etwa Antibiotika oder Heparin zur Blutverdünnung entzogen, da der Patient frei von Schmerz- und Beruhigungsmitteln sein muss, damit der Hirntod festgestellt werden kann. Darüber hinaus werden zentrale Zugänge gelegt (Venenkatheter, Herzkatheter) und Lungenuntersuchungen können durchgeführt werden.
Bei der Organentnahme selbst kann es zum Blutdruckanstieg kommen, sobald Gefäße geöffnet werden. „Oft werden spontane Reaktionen ausgelöst. Es ist schon vorgekommen, dass sich Patienten weggedreht oder auch an die Öffnungsstelle gefasst haben“, so Breul. Nicht zuletzt deshalb wird der Organspender bei Organtransplantationen mittlerweile unter Narkose gesetzt.
Das große Geldverdienen
Nach der Organspende kommt das große Geldverdienen. Der Spender bzw. die Angehörigen bekommen nichts. Das ist international so üblich. Während das Krankenhaus, welches die Organe entnimmt, ebenfalls nicht sehr viel verdient, sieht es beim Krankenhaus, welches die Transplantation durchführt, schon ganz anders aus. Es sind teilweise Beträge von über 100.000 Euro, die das operierende Krankenhaus für eine Organtransplantation erhält. Eine sprichwörtlich goldene Nase verdienen sich die Pharmaunternehmen an der Organspende. Allein mit dem Verkauf von Immunsuppressiva an Transplantationspatienten setzt dieser Industriezweig jedes Jahr Milliarden von Euro um.
Dr. Breul war es nach eigenen Aussagen wichtig, die Fakten einer Organspende aufzuzeigen und aufzuklären, anstatt für oder gegen Organspende Werbung zu machen. Wenn jemand, der genau aufgeklärt ist, sich für eine Organspende entscheidet, ist das eine ganz persönliche Angelegenheit, die es zu respektieren gilt. „Die meisten Spender werden jedoch nicht ausreichend informiert“, ist Breul überzeugt. Sie persönlich wäre nicht dazu bereit, ihre Organe zu spenden und würde auf der anderen Seite auch kein Spenderorgan annehmen, weil sie weiß, was das für einen Spender bedeuten kann. „Jeder sollte das Recht auf ein friedliches Sterben haben. Das ist bei der Organspende aber nicht gegeben“, so Breul. Speziell diese Aussage ließ im Zuge der Diskussion die Emotionen zum Teil hochkochen und Gegner und Befürworter lieferten sich einige hitzige Wortgefechte.
Patrizia Hainz
Bestimmungen zur Organspende
In den verschiedenen Ländern greifen bis heute unterschiedliche Gesetze und Vorschriften zur Organspende. In Italien gilt die „Erweiterte Zustimmungslösung“. Diese Zustimmungslösung sieht im Idealfall vor, dass jede Person selbst entscheidet, ob sie Organe spenden möchte oder nicht. Ersteres wird mit einem Organspenderausweis belegt. Sollten sich Patienten, die für eine Organspende in Frage kämen, noch nicht entschieden haben, müssen die Angehörigen entscheiden. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen Ländern die „Widerspruchsregelung“. So zum Beispiel in Österreich und Frankreich. Jeder, der sich nicht im Widerspruchsregister des Landes als Nichtspender eintragen lässt, gilt automatisch als möglicher Organspender. Wichtig zu wissen ist auch, dass immer das Gesetz jenes Landes zur Anwendung kommt, in welchem sich ein Patient aufhält, unabhängig von seiner Nationalität.
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