Viele Menschen singen leidenschaftlich gerne. Aber das Hobby zum Beruf machen? Das trauen sich die wenigsten (zu). Andrea Oberparleiter, 36, hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Sie kündigte ihren Job bei einem Steuerberater, studierte Gesangspädagogik und Konzertfach. Seit vier Jahren arbeitet die Sopranistin als professionelle Sängerin für Chöre im deutschsprachigen Raum. „Es ist ein toller Beruf“, sagt sie, „nur würde ich gerne öfter hintereinander in meinem eigenen Bett aufwachen.“
Andrea Oberparleiter
PZ: Frau Oberparleiter, nach der Matura arbeiteten Sie fünf Jahre lang bei einem Steuerberater. Sie hatten einen sicheren Job – und gaben ihn für den Traum vom Singen auf. Wie kam es dazu?
Andrea Oberparleiter: Musik hat mich seit meiner Kindheit begleitet. Mein Papa war Chorleiter, die Mama hat mit uns Kindern immer gesungen. Zuerst war ich beim Kinderchor, später kamen der Kirchenchor und der Gospelchor dazu, dann hatte ich eine eigene Band. Wegweisend für mich war die Stimmbildung an der Musikschule Bruneck. Mir hat meine Arbeit beim Steuerberater gefallen, aber irgendwann wurde das Gefühl, noch etwas anderes auszuprobieren, einfach stärker. Also habe ich gekündigt und bin nach Innsbruck gegangen.
War Ihnen sofort klar, welches Studium Sie machen wollen?
Zuerst habe ich ein Politikstudium begonnen, mich aber gleichzeitig über die Ausbildungsmöglichkeiten im Gesangsbereich informiert. Mich interessierte eigentlich die Jazz-Ausbildung am Konservatorium in Innsbruck. Allerdings wurde sie nur in Kombination mit einem klassischen Gesangsstudium angeboten. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung war mir klar, dass ich mich nun voll und ganz auf diese Ausbildung konzentrieren würde.
Was war die größte Überraschung in der Ausbildung?
Ich dachte früher immer: Singen kann man oder nicht. Im Studium wurde mir dann sehr schnell klar, dass das Singen ein Handwerk ist, das man erlernen muss. Dabei geht es neben dem musikalischen Ausdruck auch um Muskeltraining, Feinmotorik und Koordination. Wie differenziert und komplex dieses Zusammenspiel ist, überraschte mich anfangs, doch ich fand es auch unglaublich interessant. Glücklicherweise hatte ich einen Gesangsprofessor, der großen Wert auf eine solide Gesangstechnik legte. Dieses Wissen hilft mir heute im Beruf sehr.
Nach dem Abschluss des Gesangspädagogik-Studiums haben Sie noch ein Studium drangehängt. Warum?
Weil mir während des Studiums klar wurde, dass ich nach vier Jahren zwar eine gute Basis hatte, die Stimme aber noch Zeit brauchte, sich weiterzuentwickeln. Deshalb habe ich auch noch Konzertfach studiert. Als es Richtung Abschluss ging, empfahl mir mein damaliger Lehrer, mich bei professionellen Vokalensembles zu bewerben. In Deutschland gibt es ein dichtes Netz an Profichören. Der NDR Rundfunk oder der Bayerische Rundfunk zum Beispiel unterhalten einen festangestellten Chor. Bei größeren Projekten oder wenn es Ausfälle gibt, werden auch freischaffende Künstler engagiert. 2011 hatte ich mein erstes Vorsingen beim RIAS-Kammerchor in Berlin, dann beim MDR Rundfunkchor in Leipzig und schließlich noch bei einem professionellen Ensemble in Zürich. Ich wurde bei allen drei Chören aufgenommen. Das war 2011. Seitdem arbeite ich als freiberufliche Sängerin.
Wie oft mussten Sie die Frage ‚Kannst Du davon leben‘? schon beantworten?
Oft (lacht). Und die Antwort ist: Ja, ich kann gut davon leben, sonst würde ich es auch nicht machen.
Wie oft sind Sie unterwegs?
Anfangs habe ich alle Projekte angenommen und war zwischen zwei und drei Wochen im Monat unterwegs. Da bleibt natürlich das Privatleben auf der Strecke. Irgendwann wird der Wunsch größer, nicht ständig von Stadt zu Stadt zu fahren und auch mal öfters ein paar Tage am Stück im gleichen Bett aufzuwachen. Deshalb habe ich nach drei Jahren einen Gang zurückgeschaltet und achte jetzt darauf, auch zwischendurch längere Pausen einzulegen. In diesen Phasen habe ich Zeit für mein eigenes Ensemble in Innsbruck, meine solistischen Auftritte und natürlich auch für mein Privatleben.
Wie kann man sich die Arbeit in einem Profichor vorstellen? Wie klappt das Zusammenspiel der einzelnen Sänger?
Die Probenphase vor einem Konzert dauert in der Regel zwei bis höchstens drei Tage. Jeder Sänger muss zu Beginn der Proben das Stück perfekt beherrschen. Die größte Herausforderung besteht darin, dass die Sänger innerhalb kürzester Zeit zu einer homogen klingenden Einheit werden. Jeder Konsonant muss gleichzeitig artikuliert, jeder Vokal gleich gefärbt werden, und dann kommen noch die Wünsche des Dirigenten dazu. Es wird also nie langweilig.
Wenn Sie zurückblicken: Was war eine der schönsten Erfahrungen, die Sie im Lauf der Zeit machen konnten?
Da fällt mir eine Konzertreise nach Israel ein. Die Johannespassion von Johann Sebastian Bach in Jerusalem singen zu dürfen, ist schon ein bleibendes Erlebnis. Ein besonderes Highlight war das Rolling Stones Konzert in Zürich, bei dem die Zürcher Sing-Akademie als Backgroundchor engagiert wurde. Im Konzertkleid auf der Bühne zu stehen und vorne Mick Jagger herumhüpfen zu sehen, ist schon eine coole Sache.
Interview: Verena Duregger
Zur Person
Andrea Oberparleiter, 36, wuchs in Aufhofen bei Bruneck auf. Nach der Matura an der Handelsoberschule arbeitete sie fünf Jahre bei einem Steuerberater. Mit 24 Jahren beschloss sie, in ihrem Leben eine andere Richtung einzuschlagen und belegte am Mozarteum Salzburg ein Gesangspädagogik-Studium. Darauf folgte das Diplomstudium Lied und Oratorium am Tiroler Landeskonservatorium. Beide Studien schloss sie mit Auszeichnung ab. Seit vier Jahren arbeitet sie als freischaffende Künstlerin. Die Sopranistin singt mit dem RIAS Kammerchor Berlin, der Zürcher Sing-Akademie, dem MDR Rundfunkchor und dem englischen Vokalensemble Trinity Baroque.