Hart, härter, Hanno Heiss: Der 40-Jährige aus Pfalzen nahm im Februar am „Yukon Arctic Ultra“ teil. Das Rennen gilt mit mehr als 700 Kilometern Strecke und Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt als das härteste der Welt und verlangt den Teilnehmern alles ab. Am 1. Dezember ist der Jurist im Ufo in Bruneck zu Gast und erzählt im Rahmen der 3. Borderline-Ausgabe von seinem Abenteuer. Wie hält man das durch? Für die PZ fasst der Extremsportler die wichtigsten Punkte zum Erfolg zusammen

Etwa-20-Kilometer-vor-dem-Ziel

Leidensfähigkeit: Etwa 20 Kilometer vor dem Ziel zieht Hanno Heiss weiter seinen Schlitten durch die kanadische Wildnis

Vorbereitung
Wer sich auf eine so extreme Erfahrung einlässt, muss körperlich und mental topfit sein. Ich habe neun Monate nach einem strikten Plan trainiert. Pro Woche habe ich zehn bis elf Trainingseinheiten absolviert und mir dazwischen einen freien Tag gegönnt. Ich arbeite in Bozen, in der Mittagspause habe ich sogar eine Trainingseinheit eingelegt wie zum Beispiel Aquajogging. Und am Abend habe ich wieder meine Laufschuhe geschnürt. Es kostet viel Disziplin, sich in den Herbst- bzw. Wintermonaten regelmäßig im Dunkeln, auch bei Kälte und Regen, zum Laufen zu überwinden. Doch genau dieses Überwinden ist das beste mentale Training, es ist die Basis für so ein Abenteuer, das keine Ausreden und Entschuldigungen duldet – nicht vor den Bedingungen und noch weniger vor sich selbst. Trotz der besten Vorbereitungen ist das, was man erwartet, niemals vergleichbar mit dem, was man vorfindet.

Emotionen
Bei Minus 55 Grad Celsius kann es durchaus sein, dass man erfriert. Natürlich hatten wir alle ein Tracking-Gerät dabei. Doch zu wissen, dass man zwar auf einen Knopf drücken kann, aber wohl niemand kommen wird, um einen zu holen, hat etwas Beängstigendes. Es ist schwer, die Angst auszublenden. Will man unter diesen Umständen überleben, wird es zum wichtigsten Gebot, diese Emotionen nicht Überhand nehmen zu lassen. Wenn man da draußen ist, reduziert sich alles aufs Wesentliche. Fehler oder Unachtsamkeit wie ein verlorener Handschuh werden sofort bestraft. Also habe ich versucht, wie ein Formel-1-Pilot, der ständig alle seine Instrumente checkt, alles zu kontrollieren. Diese Momente der absoluten Abhängigkeit von der Natur, aber zugleich auch das Erlebnis vom Einssein, vom Einklang mit der Natur, sind im Rückblick sehr intensiv!

Flexibilität
Mentale Stärke, eiserner Wille, Zähigkeit und ein ausgetüftelter Plan, wie man in bestimmten Situationen reagieren muss, sind der Schlüssel, um ans Ziel zu gelangen. Trotzdem kann man nie auf alles vorbereitet sein. Wenn einen Unvorhergesehenes überrascht, heißt es, schnell reagieren und sich nicht lähmen lassen. Dann gibt es nur eines: umdenken, weiterdenken, weitergehen und nicht starr verharren.In diesem Bereich hatte ich bereits in der Vorbereitungsphase viel zu lernen. Denn ich bin ein sehr zielstrebiger Mensch, einer, der Punkte abarbeitet und sich schwer tut, bei gewissen Dingen locker und flexibel zu bleiben. Ich habe aber gelernt, die Bedingungen der Natur zu achten, auf sie zu hören und mich danach zu richten.

Vertrauen
So ein Projekt beschäftigt einen für eine lange Zeit – fast 24 Stunden am Tag. Ich hatte schon in der Vorbereitungszeit und dann während des Laufes das Bild vor Augen, wie ich irgendwann in Dawson ins Ziel kommen werde. Das Visualisieren dieses Traumes gab mir in Momenten des Zweifelns und des Schmerzes immer wieder den Antrieb, nicht aufzugeben. Ich hatte unterwegs Durchhänger und glaubte oft nicht daran, es zu schaffen. Aber ich wollte es unbedingt und habe alles getan, was in meiner Macht stand. Ich wollte dieses Bild in mir, das Ankommen im Ziel, nicht nur in meiner Vorstellung erleben.

Ernährung
In der Vorbereitung habe ich weniger Kohlenhydrate und tierische Produkte gegessen. Mein Schwäche sind aber die Süßigkeiten. Sie sind für mich ein Grundnahrungsmittel. Gels und Powerriegel mögen bei einem Marathon helfen, aber nicht, wenn man über Tage Höchstleistungen bringen muss. Unglaublich, aber wahr, ich habe unterwegs Burger und Pommes verdrückt und sogar Bier getrunken. Auf der Strecke gab es ja einige Versorgungsstationen - mit typisch kanadischer Küche. Die Teilnehmer des Yukon Arctic Ultra verbrauchen 14000 Kilokalorien pro Tag, das ist mehr, als die Fahrer der Tour de France verbrennen. Das kann man gar nicht essen, weshalb ich auch Gewicht abgebaut habe. Es gab aber nicht nur Fastfood - ich hatte getrocknete Bananen und Datteln dabei und ein riesiges Stück Parmesan.

Erholung
Geschlafen wird, sobald es geht. Ich habe es echt immer geschafft, genau tagsüber bei den größeren Checkpoints anzukommen und musste dann nachts wieder raus. Einmal musste ich einen Tag Pause einlegen, weil die Beine so geschwollen und rot waren, dass man Spiegeleier auf ihnen hätte braten können. Dank kalter Umschläge habe ich mich wieder erholt und konnte weiterkämpfen.

Leidensfähigkeit
Ab einem gewissen Punkt geht es nur noch um Überwindung und Leidensfähigkeit. Ich habe Schmerzen empfunden, die ich vorher so nicht kannte. Als ich in der Nacht wieder raus musste, die Lichter hinter mir verschwanden und sich vor mir das Nichts ausbreitete: Das ist mit Worten nicht zu beschreiben. In solchen Momenten gilt es, die negative Gedankenspirale auszuschalten und nur mehr ein Mantra zuzulassen: weiter, immer weiter!

Konzentration
Nach der nächsten Kurve kann es vorbei sein, auch wenn man vorher gut im Rennen war. Deshalb muss man sich auf die Details konzentrieren und nicht zu weit nach vorne denken. Wer glaubt, sicherer Sieger zu sein, wird hart bestraft. Die Konzentration aufs Wesentliche kann über Erfolg und den Verlust von Körperteilen entscheiden. Der Yukon, die Natur, verlangt einem alles ab. Man selbst ist ein Nichts, dessen sollte man sich auf jedem einzelnen der über 700 Kilometer bewusst sein.

Genuss
Ein Guide hat zu mir gesagt: „Genieße jeden Schritt. Schon bald bist Du wieder zurück im normalen Leben.“ Das klingt in diesem Moment absurd – doch nichts stimmt so sehr wie das. Denn es war das größte Abenteuer, das ich bisher erlebt habe. Selbstmitleid ist fehl am Platz. Als ich ein paar Meter vor dem Ziel in einem Flussbett stand und noch diese eine letzte Steigung bewältigen musste, hatte ich keine Ahnung mehr, wie ich es schaffen sollte. Ich habe so geflucht, ich hätte heulen können. Und dann habe ich mich raufgekämpft, hinter mir der 30 Kilo schwere Schlitten. Ich habe meine Grenzen kennen gelernt, ich habe sie überschritten. Und seitdem bin ich ein anderer Mensch.

Interview-Protokoll: Verena Duregger


 

ZUR PERSON

Sport hatte für Hanno Heiss, 40, aus Pfalzen lange Zeit keine besondere Bedeutung. Erst während seines Studiums fing der Jurist mit dem Laufen an. Dass er einmal am Yukon Arctic Ultra teilnehmen würde, war noch bis vor kurzem ein Ding der Unmöglichkeit. Doch irgendwie ließ ihn die Vorstellung, sich über mehrere Tage und völlig auf sich alleine gestellt durch die Wildnis zu kämpfen, nicht mehr los. Nach neun Monaten Training flog er schließlich im vergangenen Februar nach Kanada – und kam nach neun Tagen und neun Stunden als erster in der Kategorie „Lauf“ ins Ziel. Seine Uhr hatte er immer auf die hiesige Zeit eingestellt: „So wusste ich, was meine Frau und Tochter daheim gerade machen.“

Zusätzliche Informationen

Diese Seite verwendet Cookies!

Durch die Nutzung der Website stimmen Sie zu, dass Cookies gespeichert werden. Mehr darüber

Ich verstehe