Das Studieren des Lawinenlageberichts ist für Wintersportler, die außerhalb der gesicherten Pisten unterwegs sind, mindestens so wichtig wie eine ordentliche Ausrüstung. Wie die Gefahrenstufen bestimmt werden, warum es wichtig ist, den ganzen Text zu lesen und bei welchem Wetter er selbst das Haus nicht verlassen würde, erzählt Landesmeteorologe Lukas Rastner aus Gais
Meteorologe Lukas Rastner
PZ: Herr Rastner, mit dem ersten Schnee starten die Skitourengeher auf die Berge und dann geht das Spiel wieder von vorne los: Lawinenwarnungen gehen raus, und wenn doch etwas passiert, dann fragen sich alle, warum.
Lukas Rastner: Das Warum ist natürlich immer eine schwierige Frage. Bei einem Lawinenunfall kommen viele Faktoren zusammen, da spielen die Gruppendynamik, das Wetter, die Lawinengefahr und anderes mit hinein. Im Nachhinein ist es auch für uns immer schwierig, einen Unfall zu rekonstruieren, dazu fehlen uns meist auch die Zeit und das Personal.
Im vergangenen Winter gab es viele Lawinenunfälle. Machen Sie sich Sorgen?
Nein, auch wenn es die ersten Lawinenunfälle schon gegeben hat. Vielmehr bin ich gespannt, was dieser Winter bringt. Niemand weiß, wie er wird, aber ich hoffe, dass es nicht so viele Lawinenunfälle geben wird wie 2014/15.
Wie kann man sich Ihre Arbeit, speziell im Winter, vorstellen? Welche Kriterien spielen eine Rolle bei der Festlegung der verschiedenen Lawinenwarnstufen?
Im Sommer heißt es beim Wetterdienst früh aufstehen, die ganzen Wetterkarten studieren, Prognosen schreiben und Radiointerviews machen. Im Winter werten wir die Beobachterdaten und die Schneeprofile vom Forstdienst aus dem ganzen Land und die Daten der Schneemessfelder und Windmessstationen aus. Danach setzen wir, das sind mein Kollege Fabio Gheser und ich, uns mit Günther Geier, Philipp Tartarotti oder Dieter Peterlin, also dem diensthabenden Meteorologen, zusammen und besprechen das zu erwartende Wetter. All diese Daten und die Einschätzungen der eigenen Geländegänge werden miteinander verbunden und führen schlussendlich zur Festlegung der Gefahrenstufe für die einzelnen Zonen. Dann gilt es noch, die aktuelle Schneedecke und die Gefahrenstellen zu beschreiben, um den Wintersportlern ein möglichst genaues Bild zu geben, auf was bei Aktivitäten außerhalb der gesicherten Pisten zu achten ist.
Machen Sie das alles vom Bürostuhl aus oder gehen Sie dafür raus in die Natur?
Der Wetterbericht entsteht im Büro, dazu nutzen wir verschiedene Wettermodelle, Wetterstationen, Webcams und Satellitenbilder. Um einen guten Lawinenlagebericht zu schreiben, muss man die Nase in den Schnee stecken. Dazu sind wir im ganzen Land unterwegs. Wir schauen uns die aktuelle Schneedecke an, machen Schneeprofile und Stabilitätstests.
War das auch ein Grund, warum Sie sich für diesen Beruf entschieden haben?
Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Besonders im Winter bin ich im ganzen Land in unseren Bergen unterwegs, ich treffe viele interessante Leute und habe viel Abwechslung. Im Sommer bin ich mehr im Büro und nur ab und zu im Gelände, etwa für Gletschermessungen. Im Winter kann es heftig sein, wenn möglich, schauen wir uns Lawinenunfälle vor Ort an. Diese Eindrücke hinterlassen Spuren, die bedrücken.
Was interessiert Sie ganz besonders am Wetter?
Naturwissenschaften, im Speziellen Wetter und Schnee, haben mich immer besonders interessiert. Es hat mich so geärgert, wenn meine Schulkollegen aus dem Oberpustertal erzählt haben wie viel Neuschnee es bei ihnen gemacht hat und bei uns in Gais hat’s nur geregnet. Außerdem konnte ich mir so für meine Bergtouren den Wetterbericht selber machen.
Gibt es eine Wetterform, die Meteorologenherzen höher schlagen lässt?
Am höchsten schlägt ein Meteorologenherz, wenn die Wetterprognose stimmt. Sonst freue ich mich über seltene Wetterphänomene wie optische Erscheinungen, starke Gewitter mit Hagel, markante Kaltfronten, große Schneefälle. Leider sind diese aber meist auch mit Schäden oder Gefahren verbunden. In diesen Fällen bleibt von der Freude nichts mehr über, was nachwirkt, ist das Staunen über die Gewalt der Natur.
Ob Sportler, Urlauber oder Hoteliers: Die Wettervorhersage ist für viele Menschen wichtig. Was passiert, wenn Sie daneben liegen?
Nicht umsonst wurde mein Kollege Dieter Peterlin in einer Umfrage der ff stellvertretend für unseren Wetterdienst zum einflussreichsten Südtiroler gewählt. Das unterstreicht die Wichtigkeit einer zuverlässigen Prognose, und dessen sind wir uns auch bewusst. Ganz daneben liegen wir fast nie, aber in einzelnen Tälern Südtirols kann die Prognose schon einmal falsch sein. Wenn sie nicht ganz stimmt, kommt es vor, dass Leute uns kontaktieren, um sich aufzuregen. Was wir da zu hören und lesen bekommen, darf und will ich hier gar nicht sagen. Wenn man diesen Menschen dann aber ruhig erklärt, wie schwer es manchmal ist, eine Prognose zu erstellen, beruhigen sie sich bald wieder.
Welche Tipps würden Sie Wintersportlern zum Saisonstart mit auf den Weg geben?
Man muss sich der möglichen Gefahren am Berg bewusst sein. Das heißt, es gibt ja nicht nur Lawinengefahr, auch die Sicht, Temperatur, und Wetterbedingungen müssen berücksichtigt werden. Teilweise habe ich auch das Gefühl, dass einige Wintersportler den Nutzen der Standardausrüstung und des Lawinenairbags überschätzen und die Gefahr von Lawinen unterschätzen. Es muss das oberste Ziel sein, nicht in eine Lawine zu kommen. Bei vielen Lawinenunfällen sterben die Sportler durch Verletzungen, und da ändert es wenig, ob man den Verunglückten nach fünf Minuten oder einer Stunde findet. Es ist wichtig, mit allen Sinnen unterwegs zu sein, nicht blind den Spuren nachzugehen und nicht zuletzt sowohl den Wetterbericht als auch den Lawinenlagebericht zu lesen und nicht nur Symbole oder die Warnstufe anzuschauen. Der Teufel steckt im Detail - wird der Text nicht aufmerksam gelesen, ist unsere Arbeit fast umsonst.
Sie sind selbst ein begeisterter Tourenskigeher. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Strecken aus?
Beruflich gehen wir dort hin, wo es für den Lagebericht am interessantesten ist, d.h. wo es zum Beispiel am meisten geschneit oder starken Wind gegeben hat. Wir suchen also die Gefahrenstellen, um sie zu bewerten. Privat zieht es mich meistens ins Pustertal, da bevorzuge ich wenig begangene, gemütliche Touren. Am schönsten ist es, mit guten Kollegen durch die Winterlandschaft zu spazieren, die Ruhe zu genießen und im Idealfall auf einer Hütte noch gemütlich zusammenzusitzen.
Gibt es ein Wetter, bei dem Sie das Haus nicht verlassen würden?
Mein Motto lautet „Das Leben fängt draußen an“. Ich mag jedes Wetter, jede Jahreszeit. Meine sportlichen Aktivitäten passe ich ans Wetter an, im Regen und Nebel wandern und laufen macht auch Spaß. Wettertechnisch ist natürlich ein starkes Gewitter mit Hagel und hoher Blitzaktivität bei uns am gefährlichsten bzw. unberechenbar. Wenn es da nicht sein muss, bleibe ich im Haus.
Was denken Sie, wenn Sie Leute wieder einmal „übers Wetter reden“ hören?
Wenn die Leute mich nicht als „Meteorologen“ erkennen, finde ich es witzig, ein Gespräch aus dem Hintergrund zu belauschen. Da höre ich dann Wortfetzen wie „heute haben sie es wieder mal gut erraten...“ oder „...die liegen eh immer falsch...“. Oft werde ich aber auch direkt angesprochen wie denn das Wetter wird? Wenn ich den Wetterbericht selbst geschrieben habe, gebe ich gerne Auskunft. Ansonsten halte ich mich mit Prognosen zurück.
Interview: Verena Duregger
Zur Person
Lukas Rastner hat Meteorologie und Geophysik in Innsbruck studiert. Seit Oktober 2013 arbeitet der 33-Jährige aus Gais beim Landeswetterdienst und Lawinenwarndienst in Bozen. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die Erstellung von Wetterprognosen und des Lawinenlageberichts. Berufsbedingt lebt der begeisterte Sportler in Bozen, kommt aber immer wieder gerne ins Pustertal zurück.