Wer im Pustertal Fragen zur Sportmedizin hat, kommt an Alex Mitterhofer nicht vorbei. Warum die hiesige Sportszene zu fanatisch ist, was Sportler im Winter beachten müssen und warum es so schwer ist, im Alltag bewusst und gesund zu leben, erklärt der 50-jährige Sportmediziner aus Reischach im PZ-Interview. Sein Credo: „Macht Euch nicht verrückt.“

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Dr. Alex Mitterhofer

PZ: Herr Mitterhofer, Sie leiten die Abteilung Sportmedizin am Krankenhaus Bruneck und untersuchen Tausende Vereinssportler pro Jahr, dazu kommen die Freizeit- und Profisportler. Damit dürfte kaum jemand einen besseren Überblick über die hiesige Sportszene haben. Wie schätzen Sie sie ein?

Alex Mitterhofer: Fanatisch. Von meinen Bozner Kollegen höre ich oft „Ihr spinnt da draußen“. 

 

Haben Sie eine Erklärung, warum die Leute wie verrückt trainieren? 

Es ist charakteristisch für die Seitentäler, weil das Freizeitangebot einseitig ist. Was will einer hier machen, wenn er am Sonntag keine Lust hat, zuhause vor dem Fernseher zu sitzen? Im Grunde ist es eine Spirale, zuerst fangen die Leute mit ein bisschen Bewegung an, dann werden sie besser und plötzlich definieren sie sich über die Leistung im Sport. Man muss ja nur morgens oder abends zum Kronplatz fahren und zählen, wie viele mit den Tourenskiern den Berg hinaufhetzen. Da hat niemand mehr Zeit, den anderen zu grüßen; da wird aus dem Augenwinkel beobachtet, wie schnell und fit jemand ist (lacht). Dabei wäre oft weniger mehr. 

 

Ganz ohne eigenes Dazutun geht es aber nicht. Was ist der richtige Weg?

Aus ärztlicher Sicht ist immer das Mittelmaß gut. Dazu gibt es so viele Studien, die besagen, drei bis vier Mal pro Woche 30 bis 40 Minuten Bewegung mit mittlerer Intensität sind ideal. Alles, was darüber hinausgeht, ist mit einer Erhöhung vom Risiko verbunden. 

 

Ist das Konkurrenzdenken im Sport ein männliches Phänomen?

Es ist bei den Männern sicher stärker ausgeprägt, aber die Frauen sind auch hier im Aufwind. 

 

Was ist das Spannende an Ihrem Beruf?

Der Großteil ist Routine, mindestens 80 Prozent vom Arbeitspensum fällt auf die Vereinssportler, die jährlich untersucht werden müssen. Das sind allein im Pustertal rund 4.000. Zu uns kommen die Skifahrer, die Probleme mit der Achillesferse haben; die Skitourengeher, die sich über Nahrungsergänzungsmittel informieren möchten oder jene, die  einfach mal einen Belastungstest machen wollen. Daneben betreue ich Profisportler, früher die Biathleten und Skifahrer, aktuell die Rodler, Skeleton- und Bobfahrer. Die Arbeit mit den Leistungssportlern ist besonders toll - schließlich zieht man hier Erkenntnisse heraus, die dann in den verschiedenen Bereichen der Medizin Anwendung finden.  

 

Trotzdem haben Sie dem Leistungssport vor einiger Zeit einmal den Rücken gekehrt. 

Das stimmt. Jemand hat mir ein Rezept gestohlen und damit versucht, Medikamente einzukaufen, anders gesagt zu dopen. Das ist aufgeflogen, weil die Apothekerin Verdacht geschöpft hat. Sie hat mich kontaktiert und gefragt, ob ich wirklich dieses Rezept ausgestellt habe. Das hat mir einen unheimlichen Dämpfer gegeben. Ich habe dann eine Zeit lang als DCO (Doping Kontroll-Officer) für das CONI gearbeitet, um dadurch in die Welt des Dopings und Antidopings mehr Einblick zu kriegen. In dieser Rolle habe ich mich nicht wohl gefühlt. Einerseits, weil ich das Gefühl hatte, die Sportler schauen mich schief an, andererseits, weil ich ja immer noch Mediziner geworden bin und nicht Polizist. Mittlerweile sind die Doping-Kontrollen an die NAS (*) übergegangen, die ja ein eigenes Polizeiorgan ist. Dieser Schritt war notwendig und richtig. 

 

Wir wissen alle, dass zu einem gesunden Leben bewusste Ernährung und Bewegung gehören. Warum fällt es vielen schwer, das im Alltag umzusetzen?

Das hängt einerseits mit Gewohnheiten zusammen: Wir sind geprägt von dem, was uns als Kind vorgelebt wurde. Wenn in einer Familie Sport keinen Stellenwert hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Kind von alleine auf die Idee kommt, damit anzufangen. Andererseits hat es mit unserer Einstellung zu tun. Es ist gesellschaftlich akzeptiert, wenn jemand sich in seiner Mittagspause in die Bar setzt, um einen Kaffee zu trinken und zwei Zigaretten zu rauchen. Wer aber lieber die Laufschuhe schnürt und die Mittagspause nutzt, um eine Runde zu drehen, muss sich richtiggehend erklären. Sporteln in der Arbeitszeit - das geht ja nicht, das gehört nur in die Freizeit! 

 

Aller Anfang ist schwer: Wie starten Sportmuffel ein Bewegungsprogramm?

Das Beste ist, mit lockerem Joggen anzufangen. Zuerst ein paar Minuten laufen, dann gehen und die Intervalle von Mal zu Mal steigern. Es ist nicht so kompliziert, wie viele meinen. Es braucht auch nicht gleich einen Leistungstest oder Trainingsplan.

 

Worauf müssen Sportler im Winter achten?

Ab Temperaturen von Minus 15 Grad ist es für die Lungen nicht ideal: Solche Temperaturen sind bei uns aber selten. Wer überempfindliche Lungen hat, wird ohnehin aufpassen. Wichtig ist, das Trinken nicht zu vergessen, weil man trotzdem schwitzt. Mehr essen müssen wir wegen der Kälte hingegen nicht. Das ist ein Mythos, über den ich sehr lachen kann.   

 

Gibt es etwas, das Sie den überehrgeizigen Freizeitsportlern mit auf den Weg geben möchten?

Ich habe über 20 Jahre lang jeden Tag Sport getrieben und war stolz auf meine Kondition. Mit anderen Worten: Ich weiß sehr gut, was in ihren Köpfen abläuft. Sportliche Leistung ist aber nicht alles. Man muss auf die Signale des Körpers hören. Manche bekommen vor lauter Anstrengung Ermüdungsbrüche, andere werden anfällig für Infekte oder depressiv. Wenn diese Leute zu mir kommen, suchen sie immer eine Erklärung in einer Krankheit. Sie wollen sich einfach nicht eingestehen, dass sie ihrem Körper zu viel abverlangen. Ich sage immer: Bewegt Euch! Aber macht Euch nicht verrückt!

Interview: Verena Duregger

 

Zur Person

Alex Mitterhofer leitet die Abteilung Sportmedizin am Krankenhaus Bruneck. Der 50-Jährige hat in Innsbruck Medizin studiert. Die Hauptaufgabe der Sportmedizin ist die Gesundheitsvorsorge; alleine über 4.000 Vereinssportler werden in der Ambulanz jährlich untersucht. Daneben betreut Mitterhofer unter anderem Extrem-, Spitzen-  und Individualsportler. Die fünf Kilometer lange Strecke von seinem Arbeitsplatz nach Hause legt er „aus Gesundheitsgründen“ zu Fuß zurück.

 

 

 

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