Christoph Hainz hat über 2.500 alpine Routen bestiegen, er hat den Fitz Roy in Patagonien und die Nordwand des Eigers Free Solo bezwungen, genau wie die Nordwände der Großen Zinne. Am 9. März präsentiert der 53-Jährige im Ufo in Bruneck seinen Film „Der Zinnenmann“, den er selbst als eine „Liebeserklärung an die Dolomiten bezeichnet“. Im Interview erzählt der Allroundbergsteiger, warum er sich bewusst gegen eine Profikarriere entschieden hat und wie ihn die Kindheit auf dem Bauernhof geprägt hat.
Es gibt Menschen, denen ist ein Talent in die Wiege gelegt worden, und es muss nur noch entdeckt werden. Bei Christoph Hainz passierte es an einem gewöhnlichen Tag im Frühjahr 1980. Der damals noch kleine Kreis von Kletterern aus Bruneck und Gais hatte den 20-Jährigen mit in den Klettergarten genommen. Als hätte er nie in seinem Leben etwas anderes gemacht, kletterte Hainz mit schweren Bergschuhen den sechsten Schwierigkeitsgrad im Nachstieg .
PZ: Was hat dieser Moment im Klettergarten ausgelöst?
Christoph Hainz: Ich war so begeistert, dass ich mir gleich eine Kletterausrüstung zugelegt habe. Seither begleitet mich das Klettern durch mein ganzes Leben. Im Grunde waren mir die Bewegungsabläufe vertraut, schon als Kind bin ich über Stock und Stein gekraxelt. Das, was ich als Kind gemacht habe, würde man heute als Bouldern ohne Matten bezeichnen. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass man Klettern und Bergsteigen professionell betreiben könnte.
Viele der kenianischen Top-Läufer mussten einen langen Schulweg zurücklegen und wurden gerade dadurch später so erfolgreich. Sie wuchsen auf einem Hof in Mühlwald auf 1600 Meter Höhe auf. . .
. . . das bedeutete einen Schulweg von einer Stunde hin und eineinhalb Stunden zurück. Im Winter sind wir mit der Rodel hinuntergefahren, im Frühjahr, Herbst und Sommer gingen wir zu Fuß. Und wenn wir am späten Nachmittag daheim ankamen, sind wir oftmals todmüde auf die Ofenbank gesunken. Für Hausaufgaben oder Lernen blieb nur wenig Zeit. Als ich zehn Jahre alt war, kam ich deshalb auf den Hof von Tante Rosa nach Lappach. Da hatte ich nur noch eine halbe Stunde Fußmarsch zur Schule - und viel mehr Zeit, mich draußen rumzutreiben.
Wie hat Sie das Leben auf dem Bauernhof geprägt?
Jeder am Hof musste damals mit anpacken und hart arbeiten, das gehörte zum normalen Alltag. Auch ich habe als Kind überall mitgeholfen, sei es auf dem Feld, was mir am liebsten war, im Stall oder auf der Alm. Gleich neben dem Hof gab es damals einen kleinen Skilift. Meine ersten Holzskier waren ein besonderes Weihnachtsgeschenk. Mit meinen Freunden habe ich jede freie Minute am Hang verbracht.
Christoph Hainz war in seinem Leben immer in Bewegung, und er war sich für nichts zu schade. Der gelernte Kfz-Mechaniker hat Autos repariert und Fenster montiert, er ist mit dem Bagger gefahren und hat bei den Maurern Wände aufgezogen, er machte eine Ausbildung zum Maschineneinsteller und arbeitete als Schichtarbeiter, um noch mehr Freizeit zum Trainieren zu haben. In jeder freien Minuten kletterte er, was das Zeug hielt. Mehr als 2500 alpine Routen hat Hainz mittlerweile bestiegen, eine Zahl die schwindelig macht, genau wie viele seiner Unternehmungen. Seit etwas mehr als 20 Jahren hat der Allroundbergsteiger die Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ob in Fels, Eis, Mixed oder auf Tourenskiern - er fühlt sich überall zuhause. Profibergsteiger wurde er nicht – eine bewusste Entscheidung.
Warum haben Sie sich gegen eine Karriere als Profibergsteiger entschieden?
Ich wollte weder gänzlich von Sponsoren abhängig sein, noch mich den Vorgaben irgendwelcher Marketingstrategien bedingungslos beugen müssen. Durch meine Entscheidung bin ich mein eigener Herr geblieben und das bedeutet für mich Freiheit. Zudem wird im Profibereich vieles aufgebauscht und auch getrickst. Mittelmäßige Aktionen mancher Bergsteiger werden gepuscht und als übermenschliche Leistungen vermarktet. Das gefällt dem Publikum, aber in Insiderkreisen wird darüber gelacht.
Sie führen über Ihre Routen weder Buch noch Strichlisten. Dennoch lässt sich sagen, dass Sie im Laufe der Jahrzehnte hunderte alpiner Routen geklettert sind. Sie haben den Fitz Roy in Patagonien und die Nordwand des Eigers Free Solo bestiegen, genau wie die Nordwände der Großen Zinne. Sie haben Routen erschlossen und auf Namen wie „Alpenliebe“ oder „Pressknödl“ getauft. Was suchen und finden Sie immer wieder am Berg?
Es ist schwierig zu definieren, was mich immer wieder oder nach all den Jahren in die Berge zieht. Es bedeutet mir viel, den Pulsschlag der Natur zu spüren, ich kann aus dieser Verbindung Kraft, Ruhe und neue Energie tanken. In der Wildnis der Berge fühle ich mich am rechten Platz. Bergsteigen ist ganz einfach mein Leben.
Sie kennen die Dolomiten mittlerweile so gut, dass Sie nur die Farbe des Felsens anschauen müssen, um seine Beschaffenheit zu erahnen. Man könnte es die Farblehre nach Christoph Hainz nennen.
(Lacht).Ein guter Fels ist immer wünschenswert, in den Dolomiten aber oft nicht vorhanden. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass weißer und gelber Fels brüchig ist, rötlicher zwar etwas kompakter, aber dennoch mit Vorsicht zu genießen ist. Grauer und schwarzer Fels lässt auf beste Bedingungen für Kletterer schließen. Das ist nicht in Stein gemeißelt, aber ich täusche mich da selten.
Im vergangenen Jahr waren Sie mit „Der Zinnenmann“ auf vielen Festivals im deutschsprachigen Raum, am 9. März ist er im Ufo in Bruneck zu sehen. Was bedeutet Ihnen der Film?
Man könnte ihn als Liebeserklärung an die Dolomiten bezeichnen. Wenn ich einmal nicht mehr bin, dann ist er immer noch da.
Was antworten Sie, wenn jemand sagt: Das ist verrückt, was Du machst!
Ja das mag es wohl sein…für Dich! Ich weiß, dass ich das sowohl körperlich als auch mental drauf habe und darum traue ich mir das einfach zu. Das wirklich Schwierige an so einem Projekt ist, genau an dem Tag, an dem das Wetter passt, die Kameraleute da sind und der Hubschrauber bereitsteht, mental bereit zu sein. Die Schönwettertage im Sommer 2014 konnte man ja an einer Hand abzählen, somit war das Zeitfenster für mein Vorhaben der Solobegehung extrem klein.
Fast tänzelnd, als wäre es ein Kinderspiel, durchsteigt Christoph Hainz im Film „Der Zinnenmann“ in 48 Minuten die Nordwand der Großen Zinne. Dieser Berg zieht ihn magisch an, er muss immer wieder hin, nach wie vor. Mehr als ein Dutzend Mal hat er die Comici-Dimai-Route bereits geklettert*. Und als feststand, dass es einen Film geben würde, beschloss er, diese Route alleine zu bewältigen, ohne Seil, ohne Gurt – Free Solo. Den Regisseur informierte er im Vorfeld nicht über dieses heikle Detail.
Warum haben Sie ihm nicht erzählt, dass Sie die Route Free Solo klettern wollen?
Das Projekt war eine persönliche Angelegenheit zwischen mir und dem Berg, eine Herausforderung, die ich in dem Moment als solche angenommen habe. Darum war es mir nicht wichtig, im Vorfeld damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Sie wirken furchtlos. Empfinden Sie manchmal Angst?
Wer keine Angst hat, ist nicht normal. Einmal bin ich bei einer Erstbegehung ordentlich in Verlegenheit gekommen. 20 Meter über der letzten Zwischensicherung war das Gelände plötzlich unbezwingbar, und ich konnte weder vor noch zurück. Vor einem Heustadel lagen zwei Touristinnen gemütlich in der Sonne. In diesem Moment fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft, was zum Teufel ich da oben suchte. Irgendwie habe ich es dann doch geschafft, den unausweichlichen Sturz in die Tiefe zu vermeiden. Am nächsten Morgen war ich schon wieder im Fels unterwegs. Um ehrlich zu sein, ist das Faulenzen in der Sonne doch nicht mein Ding.
Interview: Verena Duregger
ZUR PERSON
Christoph Hainz gehört zu den besten Allroundbergsteigern Europas. Seit dem 20. Lebensjahr kraxelt, klettert und erklimmt der Vater von zwei Kindern Felsen, Wände und Gipfel – sein „Lieblingsspielplatz“ sind nach wie vor die Dolomiten, die er zu den „schönsten Bergformationen der Welt“ zählt. Er hat unzählige Kletterrouten erschlossen und Erstbegehungen durchgeführt. Die Drei Zinnen ziehen ihn seit jeher magisch an. In seinen Anfängen bezwang er ihre steilen Wände, die in Bergsteigerkreisen als äußerst schwierig gelten, über die klassischen Kletterrouten. Später suchte er über neue Linien den Weg zum Gipfel. Schließlich bestieg er die Große Zinne über die Comici Führe Free Solo - alleine und ohne Sicherung. Der Film „Der Zinnenmann“ (Ufo Jugend- und Kulturzentrum Bruneck, 9.März, 20.30 Uhr) ist ein Porträt über Hainz und seine Liebe zum Bergsteigen und den Dolomiten. Die Zuschauer begleiten ihn unter anderem dabei, wie er die Nordwand der Großen Zinne in 48 Minuten durchklettert.
* Am 13 und 14 August 1933 gelingt Emilio Comici und den Brüdern Giovanni und Angelo Dimai in drei Tagen, die Erstdurchsteigung der Nordwand der Großen Zinne.