Jedes zweite Wochenende setzt sich Tobias Hürter in sein Auto und fährt ins Pustertal, um seine Tochter zu besuchen. Im PZ-Interview erzählt der Journalist aus München, wie die Reaktionen auf seine Kolumne „Der Piefke“ waren, was er von der hiesigen Politik hält und wie sich sein Leben nach seinem beinahe tödlichen Absturz am Berg radikal geändert hat

Katharina-Sturm

Tobias Hürter     Foto: Katharina Sturm

PZ: Hoteliers, Profiköche, Sportler, alle sprechen davon, eine eigene Philosophie zu haben. Sie haben die Philosophiezeitschrift „Hohe Luft“ mitentwickelt und beschäftigen sich täglich mit dem Thema. Was wollen die Leute eigentlich damit sagen?

Tobias Hürter: Jeder Koch, der die Erbsen neben dem Püree auf dem Teller anrichtet, hat heute eine eigene Philosophie. Offenbar haben die Menschen ein Bedürfnis, sich eine Identität zu geben und klug zu wirken. Man will zeigen, dass man sich bei dem, was man macht, etwas gedacht hat. 

 

Das wirkt oft beliebig. Kann es auch etwas Gutes haben?

Manchmal ja. Ich finde es super, wenn etwa ein Unternehmen grundsätzlich über seine Identität und Philosophie nachdenkt, wenn man sich fragt, wo man hinwill, wie man Vertrauen aufbauen kann. Oft ist das Gerede aber einfach nur Bullshit. 

 

Wie kommt das?

Dahinter steckt das Bedürfnis nach Orientierung. Seit der Jahrtausendwende sind grundsätzliche Fragen wieder wichtig. Die Menschen wollen wissen, was das alles soll, was gut und richtig ist. Als ich als Wissenschaftsjournalist mit dem Schreiben angefangen habe, wollten die Leser staunen über schwarze Löcher zum Beispiel oder den Kosmos. Dann hat sich etwas verändert, und das reichte nicht mehr. Plötzlich waren Meditation ein Thema, Buddhismus, die Frage nach Orientierung. Die Religion erstarkte, und es gab einen Boom der Philosophie. 

 

Kam Ihnen das entgegen? 

Ich habe mich schon als Kind für Philosophie interessiert. Einmal habe ich mir eine Woche lang vorgestellt, dass nichts wirklich existiert, was ich sehe und höre, dass alles nur ein Experiment ist. Später habe ich dann auch Philosophie studiert. Die Philosophie als wichtiges Thema in meinem Leben ist eine Weile verschütt gegangen, bis das Angebot kam, mit ein paar Kollegen ein Philosophiemagazin zu entwickeln. 

 

Das Magazin heißt Hohe Luft und wird in Hamburg produziert. Sie leben mit Ihrer Familie in München, ihre Tochter lebt im Pustertal. 

Ich bin dauernd am Aufbrechen, nach Hamburg, nach München, nach Südtirol. Ich bin alle zwei Wochen hier und liebe es sehr. An manchen Wochenende fahre ich 1000 Kilometer im Auto - da ist es von Vorteil, wenn man die Gegend, in die man fährt, mag. 

 

Wie erleben Sie Südtirol?

Südtirol ist von außen gesehen ziemlich paradiesisch. Die Berge, das Land, das ist so schön. Man merkt, dass es ein sehr wohlhabendes Land ist. Wenn Grenzen und verschiedene Kulturen aufeinander treffen, ist das spannend, das ist ja im Übrigen nicht nur hier so. Alles Schöne hat aber auch eine schwierige Seite. Manche wehren sich gegen die verschiedenen Kulturen. Und dann merkt man auch immer noch, dass Südtirol bis vor gar nicht langer Zeit ein armes, abgelegenes Land war. 

 

Über manche Ihrer Erlebnisse in Südtirol schrieben Sie im Onlinemagazin „Barfuss“.  Die Kolumne hieß „Der Piefke“. Wie waren die Reaktionen darauf? 

Gut, teilweise waren die Leute auch befremdet. Ich habe hauptsächlich über Sachen geschrieben, die mir aufgefallen sind, beispielsweise das Duzen. Jetzt würde ich gerne die Perspektive erweitern und das große Ganze betrachten. 

 

Benko, Flughafen Bozen: Verfolgen Sie die Diskussionen um die großen Themen und Projekte, die im Land geführt werden?

Am Rande, ja. Die Südtiroler Politik ist ein Kapitel für sich. Ich wohne in Bayern und weiß, dass es dort ähnlich feudale Strukturen gibt. Ich denke nicht, dass es ewig so weitergehen wird und bin gespannt, wie sich alles entwickelt. In Sachen politische Streitkultur jedenfalls ist noch Raum für Entwicklung. 

 

Die Berge hatten im Leben von Tobias Hürter immer eine besondere Bedeutung. Als begeisterter Sportler zog es in jedes Wochenende hinaus. Auch am 1. November 2011 packte er seine Sachen, um eine Tour in die Zugspitzgegend zu unternehmen. Dieser Tag sollte sein Leben verändern. Hürter stürzte ab und fiel in den sicheren Tod. Dann blieb er nach 37 Metern mit seinem Rucksack an einer Kante hängen. 

 

Seit dem Absturz sind nun fast fünf Jahre vergangen. Denken Sie noch oft daran?

Ich denke nicht mehr so viel daran, aber wenn, dann frage ich mich, was passiert wäre, wenn ich nicht abgestürzt wäre. Ich hatte davor unheimlich viel Energie und habe die irrsten Sachen gemacht. Zum Beispiel Bergtouren, die über 22 Stunden gingen; auch im Beruf war ich nicht zu bremsen. Ich war rücksichtslos gegen mich selber und gegen die Menschen um mich herum. Abstürzen ist scheiße, natürlich. Aber für mich war es sehr wichtig, es hat mich immens weitergebracht. Manchmal ist es gut, richtig durchgerüttelt zu werden, weil es die Möglichkeit schafft, dass sich alles setzt. Bei mir war es wenigstens so. 

 

Sie haben ein Buch geschrieben über den Absturz. 

Im Buch geht es um die Sekunden des Sturzes, in denen ich sicher war, dass ich sterbe, und um die Zeit danach. Wenn man so etwas erlebt, konzentriert sich alles auf das Leben selbst. Am Anfang konnte ich mich kaum bewegen, meine rechte Hand war monatelang gelähmt. Das hat mich gezwungen, mich zu fragen, worauf es wirklich ankommt im Le-ben. Es hätte ja sein können, dass ich meine Hand nicht benutzen kann und alles wäre dann weit entfernt von dem Leben gewesen, das ich bis dahin geführt habe. 

 

Haben Sie eine Antwort darauf gefunden, worauf es wirklich ankommt?

Wirklich wichtig im Leben ist eben nicht, was wir oft fälschlich so wichtig nehmen: das Erleben, der Erfolg, das schnelle Glücksgefühl. Viel wichtiger als das ist die Wirkung, die ein Mensch auf seine Mitmenschen hat, auch über seinen Tod hinaus. Diese Wirkung ist, was von ihm bleibt.

 

Sport spielte schon immer eine große Rolle in Ihrem Leben. Und auch die Extreme reiz(t)en Sie. Für eine Reportage haben Sie sogar einen Epo-Selbsttest gemacht. 

Im Nachhinein finde ich das immer noch lustig, obwohl es extrem war. Dennoch bin ich froh, dass diese Zeiten, in denen ich immer am Limit war, vorüber sind. Wobei ich im vergangenen Jahr den Pfunderer Höhenweg an einem Stück gelaufen bin. Das hat mir wirklich alles abverlangt. 

 

In Ihren Büchern schreiben Sie über die großen Themen, das Bewusstsein, den Tod. Ihr nächstes Projekt handelt von der Liebe.

In der Hohen Luft habe ich einen Artikel über die Liebe geschrieben. Die Resonanz war riesig. Der Tod und die Liebe sind die großen Themen unseres Lebens. Ein gelingendes Leben misst sich auch daran, wie man damit klarkommt. Der Tod hat mich sozusagen besucht und ist wieder abgereist. Jetzt möchte ich darüber schreiben, was die Liebe eigentlich ist. Wobei die Antwort darauf nicht einfach ist. 

Interview: Verena Duregger

 

Zur Person

Tobias Hürter, Jahrgang 1972, wurde in Lindau geboren und wuchs in München auf. Er studierte Philosophie und Mathematik in München und Berkeley. Er arbeitete als Redakteur beim MIT Technology Review und bei der ZEIT. Seit 2013 ist er stellvertretender Chefredakteur der Philosophiezeitschrift Hohe Luft, die er mitentwickelte. Er ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem: „Schluss mit dem Bullshit“, „Der Tod ist ein Philosoph“, „Du bist was du schläfst“. Hürter lebt mit seiner Familie in  München und St. Georgen. 

www.hoheluft-magazin.de

 

 

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