Vor etwas mehr als drei Jahren traf Jing Yu eine weitreichende Entscheidung: Für die Liebe zog die 30-Jährige aus der 20-Millionen-Stadt Beijing nach Bruneck. Mittlerweile hat sie sich gut eingelebt. Wenn da nur nicht dieser Dialekt wäre...  

MIP

Jing Yu Grohe aus China               Fotos: Jing Yu und Johanna Leiter

Normalerweise beschreibt der Ausdruck „dicke Luft“ keinen erstrebenswerten Zustand. Im Fall von Jing Yu aber war sie der Grund für einen der schönsten Zufälle, die einem das Leben spielen kann. Aber der Reihe nach. Es war im November 2009. In Beijing hielt der Winter Einzug und die Bewohner fingen an, ihre Wohnungen mit Kohle zu heizen. Wegen der vielen Abgase bildete sich eine unangenehme Rauchwolke über der Stadt. Was für Chinesen nichts Ungewöhnliches ist, war für Karl Grohe aus Bruneck nicht auszuhalten. Er machte gerade ein Praktikum an der Handelskammer in Peking; die letzte Woche seines Aufenthalts war bereits angebrochen. Und er musste sich - sprichwörtlich - Luft machen. „Nichts wie weg“, dachte sich der Jungunternehmer und buchte einen Ausflug ins Umland. In einem Reisebus ging es hinaus aus dem Stadtzentrum - und in eben jenem Bus hatte auch Jing Yu Platz genommen. Die beiden kamen miteinander ins Gespräch und tauschten ihre E-Mailadressen aus. Der Rest ist Geschichte.

 

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Kalligraphie-Workshop in der Stadtbibliothek Bruneck

 

PZ: Wie ist das, wenn man aus einer Millionenstadt stammt und in Bruneck landet? 

Jing Yu: Es war nicht leicht, aus China wegzugehen und so weit weg von meiner Familie zu sein. Aller Anfang war deshalb schwer, auch weil ich kaum Deutsch konnte. Es hat geholfen, dass sich alle in unserem Umfeld sehr bemüht haben. Meine Schwiegereltern sind sehr nett zu mir und haben sogar Englisch gelernt, um sich mit mir unterhalten zu können. Mittlerweile reden wir Deutsch miteinander.  

Haben Sie in Bruneck schon einmal ein Stück echtes China entdeckt? 

Ja, und zwar ganz unerwartet. Als mich meine Eltern einmal hier besuchten, schauten wir uns das Ripa an. Dort sind Alltagsgegenstände der chinesischen bäuerlichen Kultur ausgestellt. 

Sie sprechen sehr gut Deutsch. Wie haben Sie diese bekanntermaßen schwierige Sprache so schnell und gut gelernt? 

Am meisten hat ein Phonetik-Kurs gebracht, den ich noch in China besucht habe. Da habe ich die Aussprache gelernt. Ansonsten helfen nur Geduld und Disziplin. Sprache braucht Zeit. Mittlerweile klappt es ganz gut, nur mit dem Dialekt, ich nenne ihn Puster-Deutsch, habe ich noch Schwierigkeiten. Ich kann zwar einige Wörter verstehen, aber reden? Keine Chance.  

Wenn man aus einer Kultur in die andere wechselt, sind einem viele Dinge fremd. Die Religion, die Gebräuche, Gewohnheiten, das Essen. In China, erzählt Jing, bestellt niemand eine Speise nur für sich. Alles kommt in die Mitte des Tisches und jeder darf sich bedienen. Als sie die ersten Male hier zum Essen ging, hat sie das mit ihrem Mann dann auch so gemacht. Kleinigkeiten wie diese bringen ein Stück Heimat nach Bruneck. 

Haben Sie sich inzwischen an die hiesige Küche gewöhnt? 

Mir schmeckt die Mischung aus italienischer und Südtiroler Küche sehr gut, auch an die Gewürze und den Geschmack habe ich mich gewöhnt. Zuhause koche ich aber nach wie vor am liebsten chinesisch. „Dumplings“ zum Beispiel, das sind kleine gedämpfte Teigtaschen, nach denen meine Freunde hier schon ganz verrückt sind.   

Wo kaufen Sie die Zutaten? 

Einiges bringe ich aus China mit oder kaufe es ein, wenn ich in München oder Salzburg bin. Manches bekomme ich auch in Bruneck. Ich weiß genau, was es wo gibt und kann jedem Tipps geben (lacht). 

Wie bleiben Sie mit Ihren Lieben daheim in Kontakt?

Zum Glück gibt es Nachrichtendienste wie Skype und WhatsApp. Ich stehe mit meiner Familie in China fast jeden Tag in Kontakt. Wir schicken uns Fotos und tauschen uns aus. Nach China fahre ich nur einmal im Jahr. 

Ihr großes Hobby ist es, die chinesische Kultur weiterzugeben...  

Ich habe schon mehrere Vorträge und Workshops in der Stadtbibliothek, in Schulen und beim KVW gehalten. Das macht mir großen Spaß. Egal, ob ich über die Sprache oder China im Allgemeinen referiere oder einen Kalligraphie-Kurs halte, das Interesse ist sehr groß.  

Ist es nicht unheimlich schwierig, die chinesische Schrift zu erlernen? 

Ich erkläre den Leuten immer, dass die chinesische Schrift zwar schwierig aussieht, die Grammatik aber einfach ist. Jedes Zeichen erzählt eine Geschichte. Wenn jemand das versteht, ist es wie ein Bild. Man betrachtet es und erfährt etwas.  

Auch mit der Zubereitung von Tee kennen Sie sich sehr gut aus. Was braucht es für eine gute Tasse Tee? 

In China sagen wir, dass Meditation und Tee den gleichen Geschmack haben. Die Teezubereitung wird in China ja gemeinhin als Zeremonie bezeichnet und das trifft es auf den Punkt. So wird zum Beispiel die Teekanne am Anfang vorgewärmt und der Tee gewaschen. Er wird immer in ganz kleinen Tassen ausgeschenkt, damit jeder die Möglichkeit hat, sich ständig frischen und warmen Tee nachzuschenken. Auch die Temperatur des Wassers variiert je nach Sorte. Weil der Tee in der Kanne weiterhin zieht, schmeckt er bei jedem Nachschenken anders. In China verwenden wir keine Teebeutel. Natürlich ist das unkompliziert, einen Beutel ins heiße Wasser zu halten. In unserer Kultur gehört es aber dazu, den Tee zu sehen, um seine Qualität zu erkennen. Das geht aber nicht, wenn er in einem Beutel versteckt ist.  

Interview: Verena Duregger

 

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Zur Person

Jing Grohe stammt aus China. Seit dreieinhalb Jahren lebt die 30-Jährige in Bruneck. In Beijing arbeitete sie bei der Firma Bayer. Mittlerweile ist sie in der Firma ihres Mannes (Grohe) im Einkauf tätig. In Vorträgen und Workshops gibt sie das Wissen über die Kultur ihres Landes weiter. In diesem Winter zum Beispiel hält sie beim KVW einen Sprachkurs und einen Kalligraphie-Workshop.

 

 

 

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