Er war hemdsärmelig und unkompliziert. Er traf Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Er war ein Landeshauptmann zum „Anfassen“ und für viele einfach „der Luis“. Über 40 Jahre drückte Luis Durnwalder der Südtiroler Politik seinen Stempel auf. Wie er mit dem Machtverlust klar kommt, was er von der Landesregierung hält und warum er im Moment Bücher über Waldorfschulen liest, erzählt der 73-Jährige im PZ-Interview.

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Luis Durnwalder fühlte sich inmitten der Menschen am wohlsten         wpz

Luis Durnwalder lässt sich in einen Sessel in seinem Wohnzimmer in Pfalzen fallen. Es erzählt von den guten alten Zeiten, als es noch Einbauschränke und viel dunkles Holz sein mussten. Der ehemalige Landeshauptmann ist auf Stippvisite in seiner alten Heimat. Normalerweise würden in ein paar Tagen die Pressevertreter zur traditionellen Sommerkonferenz eintrudeln. Doch heuer bleiben wie schon im letzten Jahr die robusten Bänke auf der Terrasse leer. Für ein ausführliches PZ-Gespräch nimmt er sich dennoch die Zeit.  

 

PZ: Herr Durnwalder, was hat sich seit ihrem Abgang als Landeshauptmann für Sie verändert?

Luis Durnwalder: Ich verfolge die Entwicklungen und Entscheidungen von außen und bin nicht mehr in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Leute haben das vielfach noch nicht ganz verstanden. Ich bekomme noch immer täglich Anrufe, Mails und Briefe, und es fällt mir schwer, den Leuten klarzumachen, dass ich nur mehr Ratschläge geben kann. Als Politiker habe ich immer schnell entschieden und hatte Lösungen parat. Das kann ich heute nicht mehr, weil mir die Macht dazu fehlt. 

 

Sie waren über Jahrzehnte am Drücker. Wie ist es, wenn die Taste von einen Tag auf den anderen ausgeschaltet wird?

Die Griechen haben gesagt: Ànthropos zoon politikòn estìn* - der Mensch ist ein politisches Wesen. Und wenn man ein solches einmal ist, dann wird man sich immer für Politik interessieren. Das holt einen immer ein. 

 

Kurz vor dem Ende Ihrer letzten Amtsperiode haben Sie einmal gesagt: „Vielleicht falle ich nach dem Abgang in ein tiefes Loch“. Und? War es so?

Als ich am ersten Tag nicht mehr ins Büro musste, hat mir etwas gefehlt. Als Leute zu mir gekommen sind und ich nicht mehr helfen konnte, habe ich mich fast geschämt. Wenn mich Menschen auf Veranstaltungen links liegen gelassen haben, dachte ich, jetzt mögen sie mich nicht mehr. Es war ein Abgewöhnen, bis ich mir selbst klarmachen konnte: Meine Zeit ist vorbei. Jetzt treffen andere die Entscheidungen. Das schwarze Loch war nicht besonders tief, aber Gefühle und Gedanken wie diese dauern bis heute an.

 

Nach eineinhalb Jahren können Sie Bilanz ziehen: Gab es Menschen die sich von Ihnen abgewandt haben?

Für manche Menschen bist du vielfach nicht mehr interessant, wenn du keine Macht mehr besitzt. Ich habe immer gesagt, wenn mir fünf Prozent meiner Freunde erhalten bleiben, dann sind es immer noch viele. 

 

Wie viele sind es dann schlussendlich geblieben?

Auf alle Fälle noch genug. Nicht mehr in der Entscheiderrolle zu sein, hat auch Vorteile. Ich habe heute mehr Zeit, mit den Leuten zu reden und kann nach einem Termin auch einmal in eine Bar gehen und eine Partie Karten spielen. Was die offizielle Politik betrifft, sind die Signale eindeutig, getreu dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“. Da ist man auf einmal weg und hat nicht mehr die Sonderstellung von früher. Und das musste ich schon überwinden. 

 

Ruft Arno Kompatscher nicht manchmal an und bittet Sie um Rat?

Er meldet sich sicher nicht so oft wie ich es bei meinem Vorgänger Silvius Magnago getan habe. Die Jungen möchten die Vergangenheit lieber vergessen machen, damit ja niemand Vergleiche anstellt. Das ist nicht klug, weil so eine lange Erfahrung wertvoll ist. Man kann aus der Vergangenheit lernen, ohne beeinflusst zu werden. Zurzeit wird alles Alte kategorisch ausgeschlossen. 

 

Wie erklären Sie sich das?

Man meint, dass man besser dasteht, wenn man nicht auf das Alte Bezug nimmt. Natürlich kann die heutige Landesregierung anders entscheiden, schließlich trägt sie ja auch die Verantwortung. Eine Verbindung mit der Vergangenheit täte ab und zu aber auch nicht schlecht. Es kann nicht alles schlecht gewesen sein, was wir gemacht haben.

 

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass nicht alles gut war. 

Sicher. Heute würde ich in manchen Punkten anders entscheiden. Nehmen wir die Verkehrssituation im Pustertal. Ich würde nicht mehr auf die Umfahrungen setzen. Wir hätten gut getan, eine Art Mebo längs der Rienz bis Bruneck zu bauen. 

 

Wenn Kompatscher schon nicht anruft, können Sie ihm ja hier ein paar Tipps geben.

Mir wäre lieber, er würde schneller entscheiden. Und er sollte näher am Volk sein. Er muss ja nicht wie ich um sechs Uhr im Büro Leute empfangen und bei jedem Kaninchenzüchterverein präsent sein. Aber bei ihm ist es ja - wie ich immer wieder höre - nahezu unmöglich einen Termin zu bekommen.

 

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Mit den Bürgermeistern pflegte der Landeshauptmann aD ein konstruktives Verhältnis        rewe

 

Wenn Luis Durnwalder über sein Verhältnis zur jetzigen Landesregierung spricht, klingt Verwunderung durch. So, als hätte er sich doch vorgestellt, weiterhin eine tragende Rolle innezuhaben. Früher war schon sein voll gepackter Terminkalender eine Attraktion - und einer großen deutschen Tageszeitung eine Abbildung wert. Es war ein Leben auf der Überholspur, das der gebürtige Pfalzner über Jahrzehnte führte. 

 

Kurz vor dem Ende Ihrer letzten Amtsperiode erlitten Sie einen Herzinfarkt...

...Wenn ich es nicht wüsste, ich würde es heute nicht mehr glauben. Ich nehme zwar noch ein paar Medikamente, und muss immer wieder zur Kontrolle. Ich sollte ja ein bisschen ruhiger sein, aber ich kann das einfach nicht. 

 

Wenn ihre Tochter fragt, was der Papi beruflich macht, was antworten Sie dann?

Ich bin Pensionist. Da ist nichts daran zu rütteln, mit 73 Jahren ist das normal. 

 

Wie war das für Sie, so spät noch einmal Vater zu werden?

Es hat mein Leben sehr beeinflusst, auch wenn ich das oft nicht nach außen gezeigt habe. Ich bin ein Familienmensch. Heute zeigt mir meine Tochter, wo es lang geht. Wenn ich in irgendwelchen Zetteln lese, dann zieht sie mich an der Hand in den Garten, damit ich mit ihr spiele. Im Herbst wird sie eingeschult, weshalb ich im Moment Bücher über verschiedene Schultypen lese. Wir überlegen noch, aber vielleicht schicken wir sie in die Waldorfschule. 

 

Kindergeburtstag, Feiertage, Urlaub: Heute haben Sie für Ihr Privatleben viel mehr Zeit. Was machen Sie sonst so?

Ich verbringe die meiste Zeit in Tschirland auf dem Hof meiner Partnerin. Dort bewirtschafte ich ein paar Tausend Quadratmeter Land mit Gemüse und Obst. Da mache ich alles selbst. Ansonsten werde ich viel für Vorträge angefragt und auch Verwaltungsrats-Posten werden mir immer wieder angeboten. Einen habe ich vor kurzem angenommen, in einem Rehabilitationszentrum in Arco. Letzthin war ich in Belgien, wo auch drei Sprachgruppen zusammenleben. Sehr interessant war die Reise nach Lugansk/Donezk, wo ich unser Modell der Autonomie vorgestellt habe. Mein Ansatz war, dass die Leute versuchen sollen, ein Modell zu finden, mit dem sie ihre Sprache, Kultur, Bräuche schützen können, ohne die Grenzen zu verschieben.

 

Sie sind in den letzten Jahren regelrecht zu einem Botschafter der Autonomie geworden. Ist wirklich alles so gut?

Ja, zumindest viel besser als an vielen anderen Orten.

 

Gegen Ende Ihrer Amtszeit ist Ihnen ein eisiger Wind entgegen geweht. Für viele waren Sie ein politisches Auslaufmodell. Und in den vergangenen Monaten kam es noch dicker. Gibt es ein Wort, das Sie nicht mehr hören können?

Ja, sogar zwei: Rentenskandal und Sonderfonds. Ich habe 40 Jahre immer eingezahlt. Zum Schluss 3.300 Euro im Monat und werde sowieso nie mehr das bekommen, was zum Beispiel ein Silvius Magnago erhalten hat. Man soll erworbene Rechte nicht antasten, sonst gibt es im Leben überhaupt keine Sicherheit mehr. 

 

Für die Menschen dieses Landes war das aber nicht nachzuvollziehen. Die Reaktionen haben gezeigt, dass die Bevölkerung dies weitgehend als unverschämtes Privileg interpretiert hat.

Die Kommunikation zur Sache war sicherlich nicht gut. Man hätte zuallererst das Ganze den Leuten besser erklären müssen. Selbst Arno Kompatscher gibt mittlerweile ja zu, dass es falsch war, von einem Rentenskandal zu sprechen. Man hätte aber diese Regelung erst dann anwenden sollen, wenn jemand in Pension geht. Diese vorzeitig ausbezahlten Abgeltungen zwischen altem und neuem System haben die Südtiroler geärgert. Fakt ist aber, dass man durch diesen Übergang viel Geld eingespart hat. Ich bleibe dabei, dass man nicht von einem Rentenskandal sprechen kann. 

 

Und der Sonderfonds?

Diese Sache empfinde ich als eine Beleidigung. Man kann doch nicht nach 50 Jahren herkommen und sagen: Das geht alles so nicht. Auch Magnago hat den ihm vom Landtag jährlich gewährten Sonderfonds so verwendet. Außerdem wurde die Verwaltung des Sonderfonds alljährlich vom Rechnungshof ohne Beanstandung überprüft. Dass ich mich jetzt wegen eines gewährten Beitrages an ehrenamtliche Vereine wie Musikkapellen, Schützen, Chöre und andere, oder wegen einer Einladung eines Vereins oder einer öffentlichen Delegation aus dem ln- und Ausland in die Laimburg vor Gericht verteidigen muss, tut schon weh. Solange das Wort Veruntreuung da steht, werde ich nie einen Vergleich schließen. Sogar der Staatsanwalt sagt, dass ich keinen Eurocent in die eigene Tasche gesteckt, im guten Glauben und im öffentlichen Interesse gehandelt habe. Was habe ich dann verbrochen? 

 

Sie können keine Rechnungen vorlegen. 

Genau das ist es. Aber ich muss wiederholen: Ich kann doch nicht von einer Schützenkompanie oder von einer Musikkapelle, die netterweise auf einer Veranstaltung spielt, eine Rechnung über die 100 Euro verlangen, die sie für ein paar Würstchen erhalten haben. Genauso wenig  von einer Schulklasse, die bei einer Schuleinweihung einen Beitrag geleistet und dafür ein Eis bekommen hat. 

 

Auf was sind Sie in Ihrer Amtszeit stolz?

Da gibt es ein paar Schwerpunkte. Die Nutzungsrechte zum Beispiel oder die Volksgruppenerhebung, die man mittlerweile ja nur noch einmal machen muss. Die Universität Bozen, als deren Begründer ich mich betrachte. Das Verhältnis zwischen den drei Volksgruppen hat sich zunehmend gebessert - wir sind von einem Gegeneinander in den Sechzigerjahren zu einem Neben- und Füreinander gekommen. Dass wir die Autonomie erweitert, nicht nur abgesichert haben und insgesamt selbstsicherer und europäischer geworden sind. Wir konnten die Abwanderung vom Land verhindern, durch Hoferschließungen etwa und den Bau von Strukturen wie Schulen in den Tälern usw. 

 

Sie stammen selbst aus einem kleinen Dorf.

So manche Bozner Bürger haben mich ja gerne als Bauernbub gesehen. Für mich war das nie ein Problem, im Gegenteil. Mir war immer klar, dass Südtirol nur weiterleben wird, wenn die Peripherie stark bleibt. Schon im Trentino gibt es in den einzelnen Tälern fast nichts mehr. Das Pustertal ist heute das wirtschaftlich interessanteste Gebiet des Landes, was auch mit den Menschen zusammenhängt. Sie haben das Herz am richtigen Fleck und packen an.

 

Sind die Südtiroler zufriedene Menschen?

Wenn es einem gut geht, juckt es halt doch immer überall ein bisschen. Wir haben einen gewissen Wohlstand erreicht, aber noch nicht das von mir gewünschte Wohlbefinden. 

 

Was war Ihr größter Fehler als Politiker?

Ich war immer unkompliziert, manchmal wahrscheinlich zu unkompliziert. 

 

Zum Abschied zieht Luis Durnwalder seine neue Visitenkarte aus der Brieftasche. Darauf ist zu lesen: Landeshauptmann a.D. - Landeshauptmann außer Dienst. „Ich kann immer sagen, dass die Abkürzung für Alois Durnwalder steht“, sagt er plötzlich und lacht. Stimmt. So ganz außer Dienst zu sein, das will einfach nicht zu ihm passen. 

Interview: Verena Duregger

 

Zur Person

Alois „Luis“ Durnwalder war von 1989 bis 2014 Landeshauptmann der Provinz Bozen. Durnwalders politisches Engagement begann während des Studiums der Agrarwissenschaften in Wien. 1969 wurde der heute 73-Jährige Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Pfalzen, vier Jahre später zog er in den Südtiroler Landtag ein. Ab 1978 war er Mitglied der Landesregierung. Durnwalder besucht sein Heimatdorf Pfalzen regelmäßig, die meiste Zeit verbringt er allerdings in Tschirland bei Naturns auf dem Hof seiner Partnerin Angelika Pircher. Die gemeinsame Tochter Greta ist sechs Jahre alt. 

 

 

 

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