Anlässlich seines zehnten Todestages würdigt das Stadttheater Bruneck im Rahmen einer Retrospektive einen Sohn Brunecks und einen, wenn auch hierzulande weitgehend unbekannten,  Großen seines Fachs: Ivo Barnabò Micheli – Filmemacher – Fragensteller – Grenzgänger - Bohemien... Auf dem Programm stehen eine Auswahl seiner außergewöhnlichen Regiearbeiten, aber auch ein Filmporträt über Micheli selbst, sowie Gesprächsrunden mit Wegbegleitern, Arbeitskollegen, Familienmitgliedern.

6

 
 

Radikale Filme drehen bedeutete für Ivo Micheli, verdrängten Tatsachen auf den Grund zu gehen“, schreiben der Pustertaler Historiker Joachim Gatterer und Ivo Michelis Tochter Jessica Alexandra Micheli in dem  Buch „Ivo Barnabò Micheli – Poesie der Gegensätze/Cinema radicale“, das begleitend zum Festival  im Folio-Verlag erscheint. „In seinen Geschichten geht es um Menschen, die für ihre Überzeugung kämpfen oder an ihren Sehnsüchten scheitern, es geht um berühmte Gesellschaftskritiker wie Pier Paolo Pasolini, Heinrich Böll oder Norbert C. Kaser, aber auch um namenlose Freiheitskämpfer in Eritrea, Fischer im abgeschiedenen Donaudelta und die Bewohner trostloser Neubaughettos am Rande Roms.“

Der vor zehn Jahren verstorbene Filmemacher war trotz seiner zum Teil preisgekrönten Werke, was sein Schaffen anbelangt, von der Presse relativ unbeachtet geblieben. Zum Tod Michelis im Jahre 2005 war nur eine überschaubare Anzahl an Nachrufen erschienen, durchwegs regionale Randnotizen, ein vereinzelter Bericht im italienischen „Manifesto“.

Danach herrschte jahrelang Stille um Ivo Micheli. Und das, obwohl er einer der wenigen Regisseure Südtirols war, die in Italien und im deutschsprachigen Ausland arbeiteten. Und für junge Brunecker Kulturinteressierte wie den späteren Filmproduzenten Karl Baumgartner und den Schrifteller Norbert C. Kaser als Brückenbauer zur europäischen Kulturszene galt.

 

Sein Leben

Aufgewachsen im Südtirol der 50er und 60er Jahre, besuchte Micheli, der Sohn eines lombardischen Militärpiloten und einer ortsansässigen Patrizierin, nach der italienischen Pflichtschule in Bruneck das italienische Lyzeum in Brixen, wo er nach einem kurzen  Intermezzo an der Militärschule in La Spezia im Jahre 1961 die Matura ablegte.  Anschließend studierte er Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom, ohne formalen Abschluss jedoch. Mit Bruneck verband Micheli nicht nur weiterhin seine Familie, sondern auch Freundschaften, die ihn bis zu seinem Tod begleiteten.

Er kam zu festlichen Anlässen oder im Urlaub – oft mit Filmprojekten im Gepäck, an denen er vor Ort zusammen mit Freunden arbeitete: Pepi Werth, Karl Baumgartner und dessen Freundin Sandra D’Olif oder Siegfried Baur sind nur einige davon. Michelis erste kleinere Regiearbeiten für die staatlichen Programme der RAI entstanden Ende der 60er Jahre. Wann Micheli in Rom mit dem „Hollywood Europas“ in Kontakt kam, ist nicht bekannt. Fest steht, dass die schillernde Aura des jungen Filmschaffenden die Brunecker Gruppe beeindruckte, und er eröffnet ihnen Möglichkeiten, in die neue Welt mit ein zu tauchen. So waren Südtiroler Freunde beispielsweise 1971 bei den Dreharbeiten am philosophisch-experimentellen Film „I corvi / Die Raben“  in Tunesien mit von der Partie – ein Film, der in die regionale Literaturgeschichte eingehen sollte, nicht aufgrund poetischer Qualitäten, sondern wegen der schriftlich überlieferten Enttäuschung des Nebendarstellers und später bekannt gewordenen Dichters Norbert C. Kaser.

 

Filmgeschichte geschrieben

Unter Michelis Brunecker Filmfreunden finden sich auch solche, die später eine große Karriere im Filmgeschäft hinlegen sollten, wie der Brunecker Karl Baumgartner. Achtzehnjährig folgte er Micheli gemeinsam mit Sandra D’Olif nach Rom und begann dort als Regieassistent und Filmkritiker. Anfang der Siebzigerjahre zog das Paar nach Frankfurt, wo Baumgartner schließlich die Verleihfirma „Pandora Film“ gründete und sich zu einem der bedeutendsten Entdecker, Vermittler und später auch Produzenten des internationalen Autorenkinos mauserte.

Ein beispielloser Erfolg, den Micheli so nie erreichte. „Ivo war wie ein Mentor für mich“, sagte der mittlerweile ebenfalls verstorbene Karl Baumgartner im Jahre 2012 in einem  Interview anlässlich Michelis Filmporträt von Astrid Kofler, „Er war für so einen jungen Menschen wie mich wie ein größerer Bruder, der einem Welten eröffnet hat.“

 

Privates Glück

Im Jahr 1971 lernte Ivo Micheli dann in Brüssel seine langjährige Lebensgefährtin Elisabeth Mutschlechner kennen. 1976 zog sie zu ihm nach Rom und arbeitete bis zur Geburt der gemeinsamen Tochter Jessica Alexandra an einigen Produktionen ihres Partners in Europa und Afrika mit. Mitte der 1980er-Jahre schien Micheli den Durchbruch geschafft zu haben. Er nahm an einer Reihe internationaler Festivals teil und bekam 1986 für seinen ausführlichen Dokumentarfilm über das Leben des 1975  ermordeten Pier Paolo Pasolini erstmals hochkarätige Auszeichnungen: Auf dem Filmfestival von Bilbao gewann Micheli einen der Hauptpreise, in Deutschland wurde die Fernsehversion des Films mit einem „Adolf-Grimme-Preis mit Silber“ prämiert.

Der Erfolg erweist sich rückblickend aber nicht als Anfangs-, sondern als Höhepunkt der Karriere. Das Porträt Roberto Rossellinis und die Verfilmung des Prozesses von Galileo Galilei waren 1988 und 1989  Michelis letzte Werke, die im Programmkino nennenswerte Resonanz erzeugten. Ende der 1980er-Jahre scheiterte seine Beziehung zu Elisabeth Mutschlechner. 1993 heiratete Micheli in Rom seine zweite Lebensgefährtin und bekam seine zweite Tochter Laura Masha, aber auch diese Ehe hielt nicht lange. Nach vierzig Jahren landete er schlussendlich wieder in Bruneck. Zu diesem Zeitpunkt nahm sein Schaffen allmählich ab. Für den WDR realisierte er 1997 seinen letzten TV-Film. Als Micheli 2001 im Stadttheater Bruneck seines Jugendfreunds Klaus Gasperi die Inszenierung von George Taboris „Mein Kampf“  aufzeichnete, war er vom intensiven Alkohol- und Zigarettenkonsum bereits gezeichnet. Von seinem Lungenkrebs erzählte er erst spät und nur sehr wenigen Personen. Ivo Micheli starb schließlich im Juli 2005 63jährig im Krankenhaus von Bruneck.

 

Seine Werke werden gezeigt

Vom ersten bis zum vierten Oktober zeigt das Stadttheater Bruneck nun einige seiner rund dreißig realisierten Produktionen, in denen Micheli auch persönliche Traumata seiner Jugend in Südtirol verarbeitete. Traumata, wie den Unfalltod seines Vaters, den der sechszehnjährige Micheli miterlebte und überlebte. Ein einschneidendes Ereignis, das Micheli bis an sein Lebensende beschäftigte. Ein weiteres Trauma, das Micheli selbst als prägenden Moment seiner Filmarbeit gerne in den Vordergrund rückt ist die Südtiroler Gegebenheit der „doppelten Kultur“:  „Ich bin nicht nur unter den normalen Bedingungen aufgewachsen, wie sie ein Kind der Provinz eben vorfindet, sondern auch unter den atypischen Bedingungen einer Region mit doppelter Kultur: einer italienischen und einer deutschen. Da gab es z. B. die ständigen Reisen: auf der einen Seite nach Italien mit seinen Geräuschen, Geschmäckern, Gerüchen (die erste Etappe war immer Verona, wo es die Aida gab  …), auf der anderen Seite nach Österreich (dort gab es die Donau und die Oper in Wien).“ (Micheli 1987 im Gespräch mit seinem Berufskollegen Marco Melani)

Seine Tochter Jessica sagt heute: „Er führte zwar das Leben eines Bohemiens, mit Lebensrhythmen, die nicht denen eines traditionellen Vaters entsprachen, aber es ist ihm immer gelungen, uns seine ganze Zuneigung zu vermitteln – und auch die Werte, die ihm wichtig waren: Optimismus, Weltoffenheit und die ständige Lust Neues zu entdecken.“

Nähere Informationen zum Filmfestival gibt es beim Stadttheater Bruneck. Der Eintritt zur gesamten Veranstaltungsreihe ist kostenlos.                  

Judith Steinmair

Zusätzliche Informationen

Diese Seite verwendet Cookies!

Durch die Nutzung der Website stimmen Sie zu, dass Cookies gespeichert werden. Mehr darüber

Ich verstehe