Menschen mit Autismus bedürfen großer Fürsorge. Dabei werden die jeweiligen Familien und Angehörigen oft auf eine schwere Probe gestellt. Zumal Autismus nicht heilbar ist. Im Pustertal wurde daher eine Tagesstätte für Menschen mit Autismus aufgebaut. Doch nun zeigen sich zwei Probleme: Zum einen sind die familiären Betreuer und Angehörigen in die Jahre gekommen und können sich um ihre Mitmenschen nur mehr bedingt kümmern. Es bräuchte daher zusätzliche Strukturen und Angebote. Zum anderen droht der Rotstift.
Paul, 35 Jahre alt, ist Autist. Sein Anderssein machte sich in den ersten Lebensjahren nach und nach bemerkbar. Niemand aber konnte damals die Abweichungen einem Störungsfeld zuordnen – und ohne Diagnose gab es auch keine gezielte Hilfestellung. Als der ORF in einer Sendung durch einen Kindergarten für Autisten in Wien führte und die Leiterin Frau Dr. Elvira Muchitsch, Klinische Psychologin (gestorben 2007), erklärte, worin das Anderssein von Autisten besteht, fiel es Pauls Eltern wie Schuppen von den Augen: Sie erkannten, dass ihr Sohn Autist war und nahmen Kontakt zu Frau Dr. Muchitsch auf. Sie erklärte sich bereit, die Betreuung von Paul zu übernehmen. Schließlich wurde auch die Sanitätseinheit Pustertal aktiv und holte die Psychologin zur Unterstützung mehrerer autistischer Kinder nach Bruneck. Sie arbeitete mit den Betreuern für jedes Kind ein eigenes Konzept zur Förderung der Motorik, der Wahrnehmung, der Emotionalität, des Denkens und des Sozialverhaltens aus. Zweimal im Jahr kam sie von nun an nach Bruneck, um die Fortschritte zu ermitteln und an den Konzepten weiterzuschreiben.
Schwierige Schulzeit
Die Kindergartenzeit war für Paul und seine Eltern eine äußerst schwierige Zeit - zum einen, weil den Kindergärtnerinnen die Beeinträchtigung Autismus völlig unbekannt war und sie daher auch nicht die erforderlichen Therapien anwenden konnten, und zum anderen, weil viele Eltern wegen des befremdlichen Verhaltens von Paul eine gemeinsame Gruppenbildung ablehnten.
In der Grund- und Mittelschule sowie in der Berufsschule machte man ähnliche Erfahrungen. Die Führungskräfte waren aber sehr aufgeschlossen und zeigten großes Entgegenkommen. Sie waren jedoch auf Lehrkräfte angewiesen, die bis auf wenige Ausnahmen keinerlei Ausbildung im Bereich der Integration hatten und mit Autismus überhaupt nicht vertraut und oft auch einfach völlig ungeeignet waren. In der Zwischenzeit hat die Schule in diesem Bereich stark aufgeholt. Sie kann vielfach auf gut geschulte Betreuer zurückgreifen und so gezielt auch auf die Bedürfnisse autistischer Kinder eingehen.
Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres war die Betreuung von Paul durch die Schule zu Ende. Von einem ständigen Verbleib zu Hause riet Frau Dr. Muchitsch jedoch entschieden ab, denn ein solcher sei weder der Weiterentwicklung des Jugendlichen förderlich noch den Eltern zumutbar. Diese würden bald an ihre Grenzen stoßen. Sie riet zum Aufbau einer Tagesstätte.
Tagesstätte für Autisten
Diese Idee wurde aufgegriffen und die Lebenshilfe setzte den Plan unter Einbeziehung der Eltern in die Tat um. Die Räumlichkeiten für die Tagesstätte stellte zunächst die Gemeinde Bruneck zur Verfügung, heute tut dies die Bezirksgemeinschaft. Seitdem bringen die Eltern Paul täglich am Morgen dorthin und holen ihn am späten Nachmittag wieder ab. Die Betreuung erfolgt durch gut ausgebildete, sehr engagierte Fachkräfte, die sich ständig weiterbilden und einen sehr netten Umgang mit ihren „Klienten“ pflegen.
Das Wochenende verbringt Paul zu Hause im Kreis seiner Familie. Eine stundenweise Betreuung durch eine andere Person, die Paul und seine Eigenheiten kennt und darauf zu reagieren vermag, findet sich jedoch kaum mehr. Eine große Belastung für die Familie sind daher die vier Ferienwochen, an denen die Tagesstätte geschlossen ist, denn das bedeutet, dass die Familienmitglieder ihre Aufmerksamkeit 24 Stunden, also rund um die Uhr, auf Paul richten müssen. Autisten können nämlich nicht - auch nur für kurze Zeit - sich selber überlassen werden. Außerdem ist es nicht möglich, eine Arbeit neben ihnen zu verrichten.
Probleme rasch lösen
Vieles konnte in den vergangenen Jahrzehnten durch das Zusammenspiel von Bezirksgemeinschaft und Lebenshilfe auf den Weg gebracht werden. Es wäre aber geradezu verantwortungslos, würde man nun den Sparstift an Einrichtungen ansetzen, die Menschen in ihrem schuldlosen Anderssein Hilfen bieten und ihnen ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben ermöglichen.
Außerdem gilt es, noch ein weiteres Problem zu beachten: Viele Eltern, Angehörige und Autisten der ersten Stunde sind inzwischen in die Jahre gekommen. Es ist daher höchst an der Zeit, weiter in die Zukunft zu denken und nötige Vorkehrungen zu treffen. Denn: Was geschieht mit den Autisten, wenn ihren Eltern und Angehörigen die Kräfte ausgehen, wenn sie sterben? Bisher hat man sie in solchen Fällen in einer betreuten Wohngemeinschaft mit Menschen anderer Beeinträchtigungen untergebracht. „Dies ist aber keine befriedigende Lösung, weil die Bedürfnisse völlig andere sind“, wie eine Pustertaler KVW-Arbeitsgruppe jüngst feststellte.
Anzustreben sei daher eine eigene betreute Wohngemeinschaft von vier bis fünf Autisten in unmittelbarer Nähe der Tagesstätte. Jeder sollte dort sein eigenes Zimmer mit Nasszelle haben. Für die Betreuung und die Unterkunft könnten, laut Vorschlag, die Autisten mit ihrem Einkommen, das sich je nach Schwere der Beeinträchtigung aus einer Rente und dem Pflegegeld zusammensetzt, selbst aufkommen. Die Struktur, sprich die Wohnung, müsste aber die öffentliche Hand zur Verfügung stellen. Denn auf dem privaten Markt sind derartige Strukturen nicht zu bekommen. Wünschenswert wäre auch, wenn das Krankenhaus die Besonderheiten von Autisten berücksichtigen könnte. In einem veränderten Umfeld reagieren Autisten nämlich oft völlig anders als in ihrer gewohnten Umgebung.
Margit Baumgartner, Maria Holzer, Rosa Rauter, Margareth Steiner und Johann Wolfsgruber
Autismus:
Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die auf neurobiologischen Ursachen beruht. Die Ursachen der Störung sind in erster Linie genetische Veränderungen. Von früh an verläuft die Entwicklung der Nervenzellen im Gehirn anders als bei gesunden Menschen, die Nervenzellen verarbeiten die Anregungen aus der Umwelt in anderer Form. Autistische Menschen haben große Schwierigkeiten in den Bereichen des sozialen Miteinanders und der gegenseitigen Verständigung. Ihnen fehlt ein natürliches Verständnis für die Gefühle, Gedanken, Vorstellungen und Wünsche anderer.
Charakteristische Merkmale bei Kindern (nach Kanner):
- kein Blickkontakt, Wegschauen, flüchtiger oder leerer Blick,
- fehlende oder mangelnde Nachahmungsfähigkeit,
- stereotype Spielgewohnheiten (rhythmisches Klopfen, Drehen von Gegenständen, Flattern mit den Händen, ...),
- großer Widerstand gegen Veränderungen und Abweichungen vom Gewohnten,
- kein Erkennen von realen Gefahren,
- schwere Auffälligkeiten in der Sprache und Kommunikation,
- später Sprachbeginn oder Ausbleiben der Sprachentwicklung,
- Sprache hat keine kommunikative Funktion.
Autismus ist nicht heilbar. Betroffene Menschen bedürfen einer geeigneten Förderung und angemessener Lernbedingungen, damit sie ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten entwickeln und in ihrer Umwelt einsetzen können. Nur so wird ihnen ein erfülltes Leben in unserer Gesellschaft ermöglicht. Wichtig ist in jedem Fall eine möglichst frühzeitige Therapie, in die auch die Eltern miteinbezogen werden.
(http://www.autismus.at/home.html)
Tagesstätte für Autisten in Bruneck
Die Tagesstätte hat zunächst die Funktion, die Familien zu entlasten. Die Klient/-innen ihrerseits sollen sich in der Einrichtung wohlfühlen, sich entfalten können und individuell gefördert werden. Die Förderung soll möglichst viele Teilbereiche der autistischen Persönlichkeit ansprechen. Ein Schwerpunkt ist die Einübung lebenspraktischer Fertigkeiten. Die Klient/-innen haben die Möglichkeit, einfache Arbeiten (im Haushalt, Garten, Handwerk) auszuführen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Freizeitgestaltung. Die Angebote reichen von sportlichen Aktivitäten bis hin zum Basteln, Malen und Musizieren. Angewandt werden die Methoden des TEACCH-Ansatzes. In der Tagesstätte freut man sich übrigens immer über freiwillige Mithelfer…