„Gemeinwohlökonomie: Wirtschaften und alle profitieren?“ - unter diesem Slogan organisierte der KVW Pustertal gemeinsam mit der Plattform Pro Pustertal am 13. Oktober einen Vortrag mit Univ.-Lektor Mag. Christian Felber. Gemeinsam mit einer Runde von UnternehmerInnen ist Felber Entwickler des Modells der „Gemeinwohl-Ökonomie“ als Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft und zentralen Planwirtschaft. Dieser Ansatz zielt auf eine umfassende Überarbeitung unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems und wird mittlerweile von fast 1.900 Betrieben, tausenden Privatpersonen und zahlreichen PolitikerInnen unterstützt. Felber ist auch Initiator des Projekts „Bank für Gemeinwohl“. Wir haben mit ihm gesprochen.
Christian Felber
PZ: Herr Felber, wie kommt es, dass Sie sich mit Wirtschaftswissenschaften befassen?
Christian Felber: „Ich bin kein akademischer Ökonom, arbeite aber seit 20 Jahren intensiv zum Thema Wirtschaft. Ursprünglich wollte ich Universalwissenschaften studieren - mich interessiert das „große Ganze“. Nachdem es dieses Studium leider auf keiner Universität - trotz des vielversprechenden Namens derselben – gibt, habe ich in Wien und Madrid romanische Philologie und Spanisch als Hauptfächer, sowie Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie als Nebenfächer studiert. Das Problem, welches ich bemerke, ist aber genau das, dass die verschiedenen Fachrichtungen zu viel voneinander abgekoppelt sind. So auch die Wirtschaftswissenschaft. Obwohl Wirtschaft auch die Gesellschaft, die Demokratie, die Natur und die Werte mitberücksichtigen müsste, wird dies in hohem Maße ausgeblendet, der Gipfel dieses „Autismus“ ist der Fokus aufs Geld.“
Warum sind Sie mit dem vorherrschenden Wirtschaftssystem nicht zufrieden?
„Die vorherrschende Wirtschaftsform läuft in eine falsche Richtung. Arme werden immer ärmer, Reiche werden reicher, Konzerne werden zu groß und zu mächtig, die Umweltverschmutzung nimmt rasant zu. Die Krise, in der wir uns momentan befinden, ist nicht ein einzelne Krise, sondern eine ganzheitliche Systemkrise. Sie umfasst auch die Facetten „Werte“, „Demokratie“, „Zeit“ und „Sinn“. Exakt 147 Konzerne beherrschen die Welt. Der Welterschöpfungstag lag heuer im August. Unsere Welt verbraucht also zurzeit schon so viele Ressourcen jährlich, wie der Planet in eineinhalb Jahren zur Verfügung stellt. Es ist bisher nicht gelungen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt erhöht und der Ressourcenverbrauch sich gleichzeitig verringert. Und genau in so einer Entwicklung sehe ich uns verpflichtet einzugreifen, Veränderung zu fordern, initiieren und voranzutreiben.“
Wo sehen Sie das größte Problem oder die Ursache dieser Entwicklung?
„Dass das Ziel des Wirtschaftens die Kapitalvermehrung, das Geld, der Gewinn ist. Genau das ist der zentrale Systemfehler. Das eigentliche Mittel, das Geld, wird mit dem Ziel von Wirtschaften verwechselt. Das Ziel des Wirtschaftens sollte das Gemeinwohl sein. Dies steht auch in allen Verfassungen demokratischer Staaten, welche etwas über das Wirtschaften aussagen. In der Bayrischen Verfassung heißt es zum Beispiel: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ Auch die Italienische Verfassung sagt wörtlich, dass „die privatwirtschaftliche Tätigkeit nicht im Widerspruch zum Gemeinwohl stehen“ darf“. Schon Aristoteles hat es als „widernatürlich“ bezeichnet, wenn das Geld zum Ziel des Wirtschaftens wird. Und genau hier liegt das Problem. Die Werte haben sich vertauscht. An oberster Stelle steht nicht das Gemeinwohl, sondern der finanzielle Gewinn. Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist das Ziel und was sind die Mittel?
Meiner Meinung nach muss der wirtschaftliche Erfolg neu gemessen werden. Momentan messen wir den Erfolg auf Staatsebene mit dem BIP, in einem Unternehmen mit dem Finanzgewinn und den Erfolg einer einzelnen Investition an ihrer Rendite. Es ist sofort erkennbar, dass die Gemeinsamkeit der Erfolgsparameter die Maßeinheit ist: Geld.
Es ist doch eigentlich sinnvoller und viel mehr auch logischer, den Erfolg einer Unternehmung am Ziel und der Zielerreichung zu messen und nicht an den Mitteln. Genau das läuft in der Wirtschaft im Moment aber verkehrt.
Wie kann ich zum Beispiel bei einer Kostenrechnung wissen, welche Kosten ich habe, wenn ich die Auswirkungen auf Natur, auf die Gesellschaft, auf die Mitarbeiter usw. nicht einkalkuliere, nicht mitrechne?“
Und Sie sind der Meinung, die Lösung für diese Fehlentwicklung gefunden zu haben?
„Ich bin der Meinung, eine kohärentere und verfassungskonformere Wirtschaftsform gefunden zu haben, die viele dieser Probleme, mit welchen wir jetzt konfrontiert sind, nicht gebracht hätte.“
Sie sprechen von der Gemeinwohl-Ökonomie?
„Ja. Aus der ursprünglichen Globalisierungskritik ist vor rund fünf Jahren eine neue Wirtschaftsordnung erwachsen: die Gemeinwohlökonomie. Sie hat sich seit ihrer Entstehung auf 40 Staaten ausgebreitet. Südtirol stellt hier einen Hotspot dar.
Warum breitet sich die Gemeinwohl-Ökonomie immer mehr aus?
„Weil sie sich für Werte und Ziele einsetzt, die heute schon in den Verfassungen stehen. Ziel der Wirtschaft soll das Gemeinwohl sein. Bei diesem Modell handelt es sich um ein vollständiges und realistisches Alternativkonzept zur heutigen Wirtschaftsform. Es geht nicht darum, dass wir gegen Geld und Gewinne sind, es geht nur darum, dass die Rolle dieser Mittel klar definiert wird. Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie wurde von klein- und mittelständischen Unternehmen in Österreich initiiert und wird mittlerweile von einer internationalen Bewegung getragen und umgesetzt.“
Wie können wir uns dieses Modell vorstellen?
„Es breitet sich von den kleinsten Einheiten der Gesellschaft langsam aus: Personen, Vereine, Unternehmen, Schulen, Universitäten, Regierungen. Nach und nach soll der Souverän Grundsatzentscheidungen treffen. Die erste wäre, dass es eine Volksabstimmung gibt, welche Ziele die Wirtschaft verfolgen sollte. Wenn dort tatsächlich die Kapitalvermehrung herauskommt, dann müssten die Verfassung korrigiert werden. Stimmt die Bevölkerung hingegen den Verfassungszielen zu, müssen wir Erfolgsmessung anpassen auf die Zielerreichung: Gemeinwohl-Produkt, Gemeinwohl-Bilanz und Gemeinwohl-Prüfung. Dafür gibt es schon Vorläufer: Die OECD hat uns mit dem „Better Life Index“ schon einige Vorschläge und Ideen gegeben. Das „Bruttonationalglück“ im Bhutanmisst zum Beispiel die Ängste der Bürger, die Gesundheit, die Lebensqualität, das Glück. Davon können wir uns inspirieren lassen und regional versammeln und den kommunalen Gemeinwohlindex komponieren. Ein Gemeinwohlindex, der das Wohlstandsmaß aus den höchsten Werten, Zielen und Aspekten von Lebensqualität nach unseren Vorstellungen bildet. Wenn dieser demokratische Gemeinwohlindex wächst, haben wir die Garantie, dass es dem Wald besser geht, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, dass die Machtschere sich geschlossen hat, oder was auch immer unsere obersten Prioritäten sind. Wenn hingegen das BIP wächst, haben wir noch keine Garantie, dass es uns und unserer Umwelt besser geht.
Das BIP kann heute auf Kosten unserer Gesellschaft wachsen. Das ginge nicht mehr, wenn wir den Erfolg in der Wirtschaft daran messen würden, ob und wie viel zum Gemeinwohl beigetragen wurde. In Italien und in Südtirol gibt es schon erste Unternehmen, welche ihren Erfolg auch an Werten – am Gemeinwohl – messen.
Wenn sich Unternehmen ethisch korrekt und nachhaltig verhalten und arbeiten, dann steigen momentan aber noch die Kosten. Ethisch korrekte Unternehmen sind also im Nachteil den unkorrekten gegenüber. Die Gemeinwohl-Ökonomie sieht vor, dass all die ethischen Leistungen gegenüber allen Betroffenen in Punkten summiert und transparent ausgewiesen werden. Je besser das Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis, desto mehr rechtliche Vorteile, „Belohnungen“, erhält ein Unternehmen: von Steuern über Zölle und Kredit bis zum öffentlichen Auftrag. So wird ethisches Wirtschaften rentabel und unethisches Wirtschaften unrentabel“
Glauben Sie, dass es zu einer Abwandlung des Wirtschaftssystems überhaupt kommen kann?
„Demokratie, Menschenrechte, Geschlechtergleichheit, Umweltbewusstsein… die Geschichte zeigt, dass Fortschritt passiert. Natürlich geht nicht alles von heute auf morgen. Wir sprechen hier von einem Prozess. Im Grunde genommen werden in der Gemeinwohl-Ökonomie nur die Verfassungswerte in das Zentrum des Wirtschaftens gerückt. Außerdem wird die Demokratie ihrem Namen gerecht. Das Kernprinzip der Demokratie ist die Souveränität. Das Wort Souveränität kommt ursprünglich vom lateinischen „superanus“ und bedeutet über allem stehend. Das Volk steht in einer Demokratie somit über allem – eigentlich! Wenn das Volk über allem stünde, dann wäre es die höchste Instanz, dann müssten wir über der Regierung und auch über der Verfassung stehen. Wir müssten die Verfassung schreiben dürfen, die Verfassung ändern, die Regierung wählen und abwählen, Gesetzesinitiativen stoppen, Gesetze initiieren und beschließen dürfen. Somit haben wir nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung uns dafür einzusetzen, dass wird diese „souveränen Grundrechte“ bekommen und dann auch nützen.“
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es schon Unternehmen gibt, welche nach der Gemeinwohl-Ökonomie arbeiten. Es gibt neben Unternehmen sogar auch schon eine „Bank für Gemeinwohl“. Was ist das?
„In Österreich haben wir im letzten Jahr die Bank für Gemeinwohl gegründet und haben bis jetzt schon 1,5 Millionen Euro sammeln können. Es handelt sich hier um eine Bank, welche Kreditansuchen auch auf ihre ethischen Auswirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt und nicht nur auf die Rentabilität hin prüft. Bei der üblichen Kreditvergabe geht es heute in erster Linie darum, dass das investierte Geld in einem höheren Maße wieder zurückfließt. Es wird nichts zum Ziel des Wirtschaftens im Sinne des Gemeinwohls untersucht. Diese Vorgehensweise ist unvollständig und blind. Hier haben wir wieder denselben Systemfehler! Es braucht sowohl eine finanzielle als auch eine ethische Prüfung! Der Anreiz bei unserer Bank ist der, dass ethische Unternehmen preiswertere Kredite erhalten als andere.“
Interview: Patrizia Hainz
Infobox
Mittlerweile gibt es weltweit 14 Vereine, die sich gegründet haben, um das Gemeinwohl an oberste Stelle zu setzen. Es gibt ganze Gemeinwohlgemeinden. Jeder, der sich für das Gemeinwohl einsetzen möchte, kann als Privatperson Mitglied werden, eine lokale Gruppe gründen und vieles mehr. Christian Felber hat ein Dutzend Bücher geschrieben, neben der „Gemeinwohl-Ökonomie“ auch „Geld – Die neuen Spielregeln“ und „Freihandelsabkommen TTIP – Alle Macht den Konzernen?“
Mit seinen Werken und auch seinen Vorträgen will Christan Felber informieren, zum Nachdenken anregen und in erster Linie einen Stein ins Rollen bringen, damit Veränderung passiert und Verbesserung ermöglicht wird.
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