Es ist einfach nicht mehr zu übersehen: Die Krise hat sich auch in Südtirol breitgemacht. Große Unternehmen gehen mit Mediengetöse unter, junge Leute finden keine angemessene Anstellung mehr und nicht wenige Erwachsene werden arbeitslos. In Städten und Dörfern fällt auf, dass es viel ruhiger geworden ist. Und man blickt immer öfter in gähnend leere Auslagen. Auch in Bruneck ist das Geschäftesterben ein großes Thema. Wir haben beim Brunecker Kaufleute-Ortsobmann Daniel Schönhuber (Sport Mode Schönhuber) und bei der Geschäftsfrau Marion von Zieglauer (Zieglauer Drogerien und Sanitätshaus) nachgefragt.
Immer öfters werden Geschäfte zur Vermietung ausgeschrieben. mb
Daniel Schönhuber und Marion von Zieglauer
PZ: Herr Schönhuber, geht man zu Fuß durch Bruneck oder die Dörfer, sieht man jede Woche mehr verwaiste Schaufenster, in denen „Zu verkaufen“- oder „Zu vermieten“- Schilder zu finden sind. Täuscht der Eindruck oder ist bei uns, wie in Deutschland bereits seit einiger Zeit, ein großes Geschäftesterben im Gange?
Schönhuber: Ja, das kann man tatsächlich beobachten. Viele Geschäfte schließen wegen ungenügender Rentabilität. Ich sehe dafür vor allem drei Gründe: Erstens, und das ist der wichtigste Punkt, gibt es inzwischen nicht nur in den großen Ballungszentren, sondern auch in der Peripherie einen sehr starken Verdrängungswettbewerb durch große Ketten und Konzerne wie Despar, Obi, MPreis und andere. Zweitens drücken die sehr hohen Mietpreise die Rentabilität. Diese Summen können viele unserer Geschäftsleute einfach nicht mehr aufbringen. Drittens ist der enorme Steuerdruck, gekoppelt mit einer ausufernden Bürokratie, ein weiteres großes Problem.
Frau von Zieglauer, Sie führen in Bruneck und Sand in Taufers drei Drogerien und ein Sanitätshaus. Wie erleben Sie die derzeitige Geschäftslage?
Zieglauer: Wenn ich von unseren Geschäften spreche, muss ich sagen, dass sich die Segmente stark unterscheiden. Alltagsprodukte versucht der Kunde möglichst günstig einzukaufen. Ganz anders ist es im Bereich der Luxusartikel. Dort, zum Beispiel bei Parfüms, geht der Weg wieder zurück zur persönlichen Beratung, man legt Wert auf die individuelle Note, das Besondere und den persönlichen Kontakt, der Preis ist im Vergleich dazu weniger wichtig.
Welche Sektoren sind von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen?
Schönhuber: Am meisten leiden zurzeit die Lebensmittelgeschäfte. Diese sind der Konkurrenz der großen Anbieter in Südtirol und in den Nachbarregionen ausgesetzt. Viele Südtiroler fahren in die benachbarten Regionen, um dort einzukaufen. Sie berücksichtigen aber nicht, was das alles mit sich bringt. Stark betroffen ist auch der Baumarkt. Derzeit wirkt sich die schlechte wirtschaftliche Lage in Italien auf alle Sektoren negativ aus.
Nahezu alle Sektoren klagen über Umsatzrückgänge. Haben die Leute tatsächlich kein Geld mehr?
Zieglauer: Das kann man so nicht sagen. Die Leute gehen anders mit dem Geld um, sie teilen sich besser ein, was sie wofür ausgeben wollen oder können. Wir haben in Südtirol aber sehr hohe Lebenshaltungskosten, daher sparen viele einerseits besonders bei den täglichen Ausgaben, geben andererseits aber weiter viel Geld für Luxusgüter aus. Auffallend ist auch, dass das mittlere Segment eingebrochen ist und immer stärker ausfällt. Das ist ein großes Problem.
Einzelhandelsbetriebe, auch in sehr guten Lagen, schließen, Dorfläden verschwinden, die großen Ketten wuchern auch auf dem Lande. Sie bieten Standardware an, der Kunde wird durch die Werbung beeinflusst. Wird man in Zukunft überhaupt noch „maßgeschneiderte“ Ware finden oder fallen die Bedürfnisse kleinerer Gruppen und der Bewohner entlegener Ortschaften durch den Rost?
Zieglauer: Auf den ersten Blick sieht es wirklich so aus, und doch öffnen auch in der Peripherie immer wieder Geschäfte und haben Erfolg. Entscheidend ist, dass das Angebot gut ist und dass die Erreichbarkeit gegeben ist. Dorfläden, die alles anbieten, verlieren den Wettkampf mit dem Supermarkt. Aber der Supermarkt verliert den Kampf, wo es um Qualität geht. Die Menschen konsumieren weniger, aber bessere Produkte. Kleine Geschäfte müssen Nischen suchen, die es durchaus noch gibt oder die gerade jetzt entstehen, da gibt es noch Möglichkeiten. Südtirol ist ein Tourismusland, unser Potenzial lag immer schon in der Qualität.
Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die im Detailhandel selbstständig tätig werden möchten?
Schönhuber: Im Detailhandel zu arbeiten ist eine tolle, abwechslungsreiche Tätigkeit. Man muss allerdings gerne mit vielen Menschen in Kontakt treten und heute ist es besonders wichtig, gute oder originelle Geschäftsideen zu haben.
Wie schätzen Sie die Perspektiven des Einzelhandels ein, wenn man auch noch die Konkurrenz des Online-Handels in Betracht zieht? Wird das klassische Geschäft zwischen den Handelsketten und dem Online-Handel aufgerieben?
Zieglauer: Online-Handel ist nicht gleich Online-Handel. Bei den „Big Playern“ wie Amazon und Zalando versagt aus meiner Sicht die Politik. Wie soll man das verstehen, wenn Zalando als Kleinunternehmen eingestuft ist und sogar als solches subventioniert wird? Oder wenn Amazon nur ein Prozent Steuern zahlt? Da läuft einfach etwas schief. Die Verantwortung hat nicht nur der Endverbraucher, da wird auch durch die Politik großer Schaden angerichtet. Dazu kommt noch der enorme Steuerverlust. Das sind Gelder, welche die Gesellschaft heute dringend benötigen würde. Das ist für das ganze Staatsgebilde schädlich. Die Änderung hat sich schon in den neunziger Jahren angebahnt: Das Auftauchen von H&M war für uns Jugendliche großartig, flott und billig, das war einfach toll. Aber heute sehen wir die Folgen.
Was kann jeder Einzelne ändern?
Zieglauer: Wer unserer Wirtschaft etwas Gutes tun und Arbeitsplätze erhalten will, kauft wieder mehr in kleineren Geschäften vor Ort. Der Trend geht sowieso immer stärker von der Quantität hin zur Qualität. Wer es sich einkommensmäßig leisten kann, sucht Geschäfte auf, in denen er vom Verkäufer individuell beraten wird. Das ist das, was Ketten und Online-Handel nicht bieten; sie haben nur wenig Personal. Der Mensch braucht aber Kommunikation und kriegt sie nicht mehr. In Italien ist das Einkaufen schon von der Tradition her eine Gelegenheit, um soziale Kontakte zu pflegen. Die deutschen Gäste aber kommen zu uns und suchen immer öfter genau das persönliche Gespräch, das sie zu Hause nicht mehr kriegen. Das müssen wir pflegen. Es ist wirklich schade, wenn man allen Trends hinterherläuft, anstatt die eigenen Stärken auszubauen.
Herr Schönhuber, wie sehen Sie die Zukunft? Findet derzeit auf globaler Ebene jene Entwicklung statt, die Karl Marx vor zirka 160 Jahren vorausgesagt hat, nämlich die Akkumulation des Reichtums in den Händen weniger und die Verelendung der übrigen Bevölkerung, die am Ende zur Revolution führt?
Schönhuber: Nein, ganz so schlimm ist es nun doch nicht. Solange wir im Pustertal und in Südtirol einen regen Tourismus haben, wird dieses düstere Szenario wohl nicht wahr werden. Auch wenn der Wintertourismus Schwankungen unterliegt, kann man in den letzten Jahren eine Zunahme des Sommertourismus beobachten, wodurch manche Schwierigkeiten abgemildert werden.
Hat ein junger Mensch, der ein Detailhandelsgeschäft eröffnet, heute überhaupt noch eine Chance?
Zieglauer: Ja, die hat er. Genau wie die kleinen Verlage. Die, so hat mir gerade ein Buchhändler erzählt, suchen nicht wie der Großverlag den absatzstarken Harry Potter. Sie sind mit weniger zufrieden, suchen und finden aber den künftigen Nobelpreisträger, den begabten Lyriker, eben Qualität. Das sind ihre Stärken und die Garantie für ihr Überleben.
Interview: Margareth Berger